Roman: Ein schrecklicher Verdacht
Ayelet Gundar-Goshen liefert eine packende Lektüre: «Wo der Wolf lauert» ist psychologischer Thriller und politischer Gesellschaftsroman in einem.
Inhalt
Kulturtipp 20/2021
Babina Cathomen
Der eigene Sohn ein Mörder? Dieser unerträglichen Frage muss sich Lilach im neuen Roman der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen stellen. Aus Lilachs Sicht wird die Geschichte um eine jüdische Familie erzählt, die aus Israel ins kalifornische Silicon Valley eingewandert ist. Hier erhoffen sich Lilach, ihr Mann Michael und Sohn Adam ein friedliches Leben, doch die Mutter muss bald feststellen: «Vielleicht hatten wir gemeint, Adam vor dem israelischen Ir...
Der eigene Sohn ein Mörder? Dieser unerträglichen Frage muss sich Lilach im neuen Roman der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen stellen. Aus Lilachs Sicht wird die Geschichte um eine jüdische Familie erzählt, die aus Israel ins kalifornische Silicon Valley eingewandert ist. Hier erhoffen sich Lilach, ihr Mann Michael und Sohn Adam ein friedliches Leben, doch die Mutter muss bald feststellen: «Vielleicht hatten wir gemeint, Adam vor dem israelischen Irrsinn zu bewahren, ihn tatsächlich aber einem anderen Irrsinn ausgesetzt.»
Der «Irrsinn» beginnt, als ein Mädchen bei einem antisemitischen Anschlag in der Synagoge umkommt. Kurz darauf stirbt ein afroamerikanischer Mitschüler von Adam an einer Party, und die Polizei ermittelt wegen Mord. Nach und nach dämmert es Lilach, dass ihr Sohn etwas damit zu tun haben könnte. Denn der scheue Adam hat sich seit dem Anschlag auf die Synagoge verändert, besucht einen Selbstverteidigungskurs bei einem ehemaligen israelischen Elitesoldaten, der die Jugendlichen mit zweifelhaften Methoden drillt, unter dem Motto: «Will dich einer töten, töte ihn zuerst!»
Vorurteile können ungehindert gären
Aus dieser spannungsgeladenen Ausgangslage gestaltet die 39-jährige Gundar-Goshen einen packenden Thriller. Die Autorin und Drehbuch-Schreiberin, die auch als Psychologin in einer psychiatrischen Kinderklinik in Tel Aviv arbeitet, hat selbst einige Zeit mit ihrer Familie in Kalifornien gelebt. Mit psychologischem Feingefühl, dem Gespür für filmische Szenen und Spannungsaufbau und ohne zu moralisieren, erzählt sie von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Und von einer Gesellschaft, in der zwar politische Korrektheit grossgeschrieben wird, die Vorurteile aber ungehindert gären. So legt sie offen, dass Opfer und Täter nicht immer klar erkennbar sind und dass es auch im Leben ihrer Protagonistin Widersprüche gibt: Denn Lilach verurteilt zwar Gewalt, den Beruf ihres Mannes als Software-Entwickler für Waffensysteme hinterfragt sie aber nicht. Mut zeigt sie hingegen auf der Suche nach der Wahrheit – und lässt die Leser so bis zur letzten Seite mitbangen.
Lesung
mit Ayelet Gundar-Goshen
Do, 23.9., 20.00
Kaufleuten Zürich
Buch
Ayelet Gundar-Goshen
Wo der Wolf lauert
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama, 352 S.
(Kein & Aber 2021