Der Roman «Die Rebellion» des Schriftstellers Joseph Roth war in der Nazizeit verboten und wurde öffentlich verbrannt. Aber nicht alle Exemplare fanden den Weg ins Feuer. Eine der verschonten Ausgaben trägt ein Geheimnis in sich: eine handgezeichnete Landkarte auf der letzten Seite.
Sie deutet auf ein Versteck an der deutsch-polnischen Grenze hin. Das ist die Rahmenhandlung des packenden Romans «Echos der Vergangenheit», in dem Hugo Hamilton Vergangenheit und Gegenwart verwebt. Der 70-Jährige arbeitete während Jahren als Journalist und schaffte einst mit einem autobiografischen Roman, in dem er von seiner ungewöhnlichen Kindheit erzählt, den Durchbruch:
Der kleine Hugo durfte in seiner Kindheit kein Englisch sprechen, musste Lederhosen und Schafwolle-Pullover tragen. Denn Hamilton war der Sohn eines radikal irisch-nationalistischen Vaters und einer deutschen Mutter.
Verloren und wiedergefunden
In «Echos der Vergangenheit» reist die Deutsch-Amerikanerin Lena Knecht mit Joseph Roths Buch «Die Rebellion» nach Berlin.
Sie will dem Geheimnis der rätselhaften Landkarte auf die Spur kommen, denn diese hatte einst ihr Grossvater, ein Naziopfer, gezeichnet. Doch bevor sie mit der Recherche beginnt, wird ihr das Buch gestohlen. Ein tschetschenischer Flüchtling findet es aufgeweicht in einem Park und kann Lena Knecht ausfindig machen, um es ihr zurückzugeben.
All das erzählt Hamilton aus der Perspektive des Buchs, das in dieser Geschichte als Ich-Erzähler im Mittelpunkt steht. In der Folge entwickelt Hamilton zwei Erzählstränge. Er berichtet von den Verwicklungen, in die Lena Knecht gerät, nachdem sie sich in den Flüchtling verliebt hat und dem Geheimnis des Buches nachgegangen ist.
Parallel dazu erinnert Hamilton an den Überlebenskampf von Joseph Roth (1894–1939), der als jüdischer Schriftsteller ständig auf der Flucht war. Seine Ehe mit der psychisch erkrankten Friederike Reichel trieb ihn zur Verzweiflung. Trost fand Roth im exzessiven Trinken, an dem er frühzeitig starb: «Seine private Katastrophe vollzieht sich parallel zur globalen Katastrophe.»
Kurze Zeit später ermorden die Nazis seine Frau. Roth war ein Aussenseiter, und genau von einer solchen Existenz handelt auch sein Buch «Die Rebellion»: Ein kriegsversehrter Leierkasten-Spieler wird das Opfer einer gnadenlosen Gesellschaft und geht an Verleumdungen zugrunde, denn Rechtsstaatlichkeit gab es in der Zwischenkriegszeit nicht: «Die Strassen wimmeln von paramilitärischen Verbänden, die sich auf Hinterhöfen bekämpfen.» Roth erlebte und beschrieb eine «Gruft der Geschichte, deren Tote auferstanden sind, um vor Gericht für Hitler auszusagen».
Böswilligkeit prägt das Zusammenleben
All das ist ziemlich schwere Kost. Tatsächlich ist Hugo Hamiltons «Echos der Vergangenheit» herausfordernde Lektüre, zumal er in Gewaltszenen eine allgegenwärtige Bedrohung heraufbeschwört. Trotzdem lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Es belegt exemplarisch, dass sich die Zeiten zwar geändert haben, aber Ungerechtigkeit und Böswilligkeit im Einzelfall nach wie vor das Zusammenleben prägen. Das müssen die Geschichtsforscherin Lena Knecht und ihr Liebhaber in einem spektakulären Showdown erleben.
Buch
Hugo Hamilton – Echos der Vergangenheit
Aus dem Englischen von Henning Ahrens 283 Seiten (Luchterhand 2023)