Roman: Dreckige Geheimnisse
Max Annas erkundet in seinem Roman «Der Hochsitz» die deutsche Nachkriegsgeschichte mit all ihren Abgründen.
Inhalt
Kulturtipp 20/2021
Eric Breitinger
Sanne und Ulrike sind beste Freundinnen. Die beiden elfjährigen Mädchen leben in einem Dorf ganz im Westen Deutschlands, nah der luxemburgischen Grenze. Nun haben sie Osterferien, in drei Monaten beginnt die WM 1978: Wenn sie nicht gerade auf dem Hof helfen müssen, reiten sie auf Bonanza-Rädern durch die Gegend oder klauen Fussballer-Bildli. Öfters blicken sie von ihrem Hochsitz im Wald hinunter und sehen zum Beispiel, was der Bürgermeister und Frau Söhnker ...
Sanne und Ulrike sind beste Freundinnen. Die beiden elfjährigen Mädchen leben in einem Dorf ganz im Westen Deutschlands, nah der luxemburgischen Grenze. Nun haben sie Osterferien, in drei Monaten beginnt die WM 1978: Wenn sie nicht gerade auf dem Hof helfen müssen, reiten sie auf Bonanza-Rädern durch die Gegend oder klauen Fussballer-Bildli. Öfters blicken sie von ihrem Hochsitz im Wald hinunter und sehen zum Beispiel, was der Bürgermeister und Frau Söhnker im Mercedes machen.
Jeder Erwachsene in Max Annas’ neuem Roman hat ein dreckiges Geheimnis – und fast alle im Dorf schweigen über das, was sie wissen. So unterschlägt der Dorfpolizist Geld, Bauern panschen die Milch mit Wasser, der Drogenhandel blüht, fast jede Familie hat ihren Drogentoten. Kein Wunder, liegt eines Nachts ein Dealer erschossen auf der Strasse. Sanne und Ulrike fällt eine Gestalt mit Umhang und Hut auf. Sie beginnen zu ermitteln.
Auch die grosse Politik kommt im Dorf an: Zwei Frauen aus der Stadt kundschaften das Grenzgebiet aus – und ähneln verdächtig den Fotos auf dem RAF-Fahndungsplakat. Ein sonderbarer Ami lässt sich in der Gegend herumchauffieren und bietet Bauern Fantasiepreise für abgelegene Höfe.
Der mehrfache Krimipreisträger Max Annas (*1963) erkundet auch in seinem jüngsten Roman «Der Hochsitz» die deutsche Nachkriegsgeschichte mit all ihren Abgründen. Das Ergebnis ist nichts für Krimi-Puristen. Fast alle Täter kommen nicht durch harte Ermittlungen zu Fall – und manche kommen davon. Der Roman entfaltet auch so einen ungeheuren Sog. Etwa durch den perfekt geschnittenen Reigen authentischer Stimmen – die von Sanne trägt durch den Roman. Durch Timing. Der Autor weiss genau, wann es Action und Entschleunigung braucht. Und durch wohldosiertes Zeitkolorit, das Zeitzeugen sagen lässt: Ja, genau so war es. Beiläufig kommt ein grosses Geheimnis der Dorfbewohner ans Licht. Es ist eine sehr deutsche Geschichte, die nicht enden will.
Buch
Max Annas
Der Hochsitz
271 Seiten
(Rowohlt 2021)