Aussen stachlig, innen fein: Katharina Adlers Protagonistin mit dem klingenden Namen Iglhaut wirkt zuweilen zwar knurrig, hat aber ein offenes Ohr und Herz. Die Mittvierzigerin betreibt eine Schreinerei im Innenhof eines Münchner Mietshauses, wo sie auch lebt. Ihre Werkstatt wird zum Treffpunkt für Nachbarinnen, Liebhaber, Kunden und Verwandte. Ein Ort, wo sich kleine Freuden und Dramen abspielen, wo politisiert und gescherzt wird, Pläne geschmiedet und über den Haufen geworfen werden. Die Münchner Schriftstellerin Katharina Adler stellt in ihrem neuen Roman den ganz gewöhnlichen Alltag mit herrlich skurrilen, liebevoll gezeichneten Figuren dar: Uli, der leidenschaftliche Postkartensammler und Besserwisser, der lieber zu Hause in seiner Komfortzone bleibt, als eine beim Kreuzworträtsel gewonnene All-inclusive-Reise nach Ägypten anzutreten. Die grantige Autorin aus dem obersten Stock auf der verzweifelten Suche nach Schreibstoff. Iglhauts Vater, der stets versucht, ihrer vegetarischen Hündin namens Kanzlerin heimlich Fleisch zu verfüttern und der mittags mit Töpfen voll von selbst gekochtem Essen für die Tochter auftaucht. Oder die Nonne Amalburga mit dem Flair für starken Espresso und prägnante Waden, die der atheistischen Iglhaut Heiligenfiguren zur Restauration vorbeibringt. Da ist Iglhauts Exfreund Dori, mit dem sie gerade wieder zarte Bande knüpft, noch der Gewöhnlichste in der bunten Runde.
Die Blütenskulptur im Eintopf
Sie alle und noch einige mehr tummeln sich in Adlers Romankosmos. Die Autorin lenkt den Blick auf die Schönheit von Nebensächlichkeiten – etwa auf die liebevoll geschnitzte Blütenskulptur im Eintopf, die der junge Grieche Herakles Iglhaut in seinem Imbissstand vorsetzt. Durch die Geschichten ihrer Figuren werden aber auch aktuelle Gesellschaftsfragen aufgeworfen. Etwa jene nach einem Grundeinkommen für alle, die sich Iglhaut stellt, wenn sie ihr eigenes brachliegendes Konto anschaut. Oder wenn sie hört, dass sich die hart arbeitende Nachbarin Valeria mit ihrer Teenie- Tochter nicht mehr als eine enge Einzimmerwohnung leisten kann. Adler erzählt schwungvoll, mit verschmitztem Humor und grosser Beobachtungsgabe und knüpft damit an den Erfolg ihres ersten, preisgekrönten Romans «Ida» an. In diesem hatte sie die Geschichte ihrer aufmüpfigen Urgrossmutter beschrieben, die Patientin bei Sigmund Freud gewesen war und die Behandlung selbstbestimmt abgebrochen hatte. Ebendieses Freiheitsdenken legt auch ihre Figur Iglhaut an den Tag.
Liebe zu kantigen Charakteren
In einem Interview hatte Adler über ihre Figuren gesagt: «Ich hoffe, dass wir alle solche Menschen in unserem Leben haben. Menschen, die eigenwillig sind, ja zuweilen kauzig, und nicht so arg viel darauf geben, sich komplett an die Forderungen einer kapitalistischen Gesellschaft anzupassen. » Diese kantigen Charaktere mit all ihren Marotten und Widerborstigkeiten wachsen einem denn auch so ans Herz, dass man wie in einer guten TV-Serie noch viel mehr von ihrem Leben erfahren möchte. Denn wie sagt Iglhauts betagte Nachbarin Tildi so schön? «Das Lesen und das Leben sind sich in vielem gleich. Kein Wunder, trennt sie nur ein Buchstabe.»
Lesung
Katharina Adler
im Gespräch mit Tabea Steiner
So, 18.9., 11.00, Zentrum Paul Klee Bern
Buch
Katharina Adler
Iglhaut, 288 Seiten (Rowohlt 2022)