Was auf Tareks T-Shirt stehe, will die Schulleiterin wissen. «Ist das was mit al-Qaida?» Tatsächlich steht da in arabischen Schriftzeichen «Giraffe». Mit dieser entlarvenden Szene bringt Luca Kieser den Kern seiner Erzählung auf den Punkt. In seinem zweiten Roman «Pink Elephant» jongliert der Autor mit Klischees und Fragen rund um Herkunft, Zugehörigkeit und Identität. Dabei demaskiert er subtil und mit feinem Witz gängige Stereotypen und Alltagsrassismus und stellt die Scheinheiligkeit des Bildungsbürgertums bloss.
Der 14-Jährige Vincent wächst behütet auf. Sein Vater ist Facharzt, die Mutter unterstützt einen Lokalpolitiker. Einmal im Jahr geht es in den Italienurlaub. Der Teenager freundet sich mit zwei gleichaltrigen Jungs an, die ihn zuvor verprügelt hatten. Schule schwänzen, Shisha rauchen und Wodka klauen – das ist alles neu für Vincent. Und er kommt sich dabei vor wie «ein richtiger Gangster».
Ja keine Verletzlichkeit zeigen
Doch der Schein trügt: Ali, der eigentlich Alexander heisst und dessen palästinensische Mutter in Köln Kunst studiert hat, will Diplomat werden. Schliesslich spricht er vier Sprachen – plus Schwäbisch. Tareks Eltern sind aus Syrien. Sein Vater ist studierter Mathematiker, arbeitet in Deutschland aber als Taxifahrer. Die drei jugendlichen Protagonisten sind darum bemüht, keine Verletzlichkeit zu zeigen, hören derben Deutschrap.
Vincent schmiert sich Bräunungscreme ins Gesicht, um sich seinen neuen «Brüdern» noch näher zu fühlen. Doch im Gegensatz zu ihm, leben Tarek und Ali in einem Hochhaus im Brennpunkt der namenlosen Stadt.
Der Ort, in dem alles spielt, wird nicht benannt, ist aber Tübingen sehr ähnlich. «Mir war wichtig, dass es keine Grossstadt ist», erklärt Luca Kieser, der 1992 in Tübingen geboren wurde und heute in Wien lebt, im Gespräch. «Ich wollte eine kleine, überschaubare Stadt zeichnen, die viel kulturelles Kapital besitzt.» Die brisante Geschichte könnte aber in jedem anderen urbanen Ballungsraum Europas spielen.
Eine kluge Gesellschaftskritik
Ähnlich wie «Tschick» von Wolfgang Herrndorf, ist auch Kiesers Roman, der sogar eine Passage aus dem Jugendliteratur-Klassiker zitiert, zunächst eine eindringliche Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft. Der Unterschied: Die pubertäre Aufsässigkeit ist hier politisch. Privilegien, falsche Zuweisungen und Vorurteile haben ernsthafte Konsequenzen, zumindest für einen der drei Jungs. Obwohl die Handlung 2006 spielt, ist das Buch angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit aktueller denn je.
Luca Kieser, dessen Debüt «Weil da war etwas im Wasser» 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, gelingt auch im zweiten Roman eine kluge Gesellschaftskritik – aufbereitet in nonchalantem Ton und Stil.
Buch
Luca Kieser
Pink Elephant
304 Seiten
(Blessing 2024)