In Italien werden Enkelkinder oft nach ihren Grosseltern benannt. Die Nonna der Autorin Zora del Buono hiess Zora del Buono. «Von meiner Grossmutter habe ich den Willen, die Welt gerechter zu machen. Und die Sehnsucht danach, etwas zu bewegen», sagt die 1962 in Zürich geborene Zora über die 1980 gestorbene Zora. Ihrer Sehnsucht gab die Zürcherin nach, indem sie zuerst als Architektin, später als Schriftstellerin neue Welten erschuf. Für ihren neuen Roman hat sie dieser Sehnsucht den Willen zur Seite gestellt. «Die Marschallin» soll aufzeigen, «dass Fanatismus kein gutes Ende nimmt».
Familiengeschichte und Politkrimi
Willkommen in der Welt von Zora del Buono, dieser noch immer verkannten Autorin, die sich für jedes Buch neu zu erfinden scheint. «Gotthard» (2015) war eine aberwitzige Novelle über skurrile Eidgenossen und verklärte Touristen auf beiden Seiten des Neat-Tunnels. Im Band «Das Leben der Mächtigen» (2015) versammelte del Buono Reportagen über alte Bäume. Tagebuchartig dann ihr politischer Liebes-Krimi «Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt» (2016). Und nun «Die Marschallin», ein wuchtiger Historienroman von epischer Breite und Dichte, der Familiengeschichte mit Politkrimi verwebt.
Der Grossvater rettet Tito das Leben
Seit Jahren habe sie dieses Buch schreiben wollen, sagt Zora del Buono. Denn in der Familie habe man sich gerne erzählt, wie ihr Grossvater einem gewissen Josip Broz Tito, dem späteren Ministerpräsidenten Jugoslawiens, das Leben gerettet habe. Diese Heldentat erscheint nun tatsächlich in «Die Marschallin», allerdings nur als Episode. Den Ausschlag, das Buchprojekt endlich in Angriff zu nehmen, gab letztlich ein gelüftetes Familiengeheimnis. «Meine verstorbene Tante hat mir in einer schwachen Minute davon erzählt und es sofort bereut», berichtet die Autorin. «Sie hat mich beschworen, nicht darüber zu schreiben, und im selben Moment gewusst, dass ich selbstverständlich darüber schreiben werde.»
Dieses Geheimnis hier zu verraten, wäre unnötig gespoilert. Aber es imprägniert dieses Buch, das einen zeitgeschichtlichen Bogen spannt von 1919 bis 1980, das pendelt zwischen Triest, Wien und Palermo, zwischen Zürich und Bari und in dessen Zentrum die historische Figur der Zora del Buono steht. «Anfangs war es seltsam, sich beim Schreiben immer selbst zu lesen», sagt Zora del Buono, die ihre Grossmutter in guter Erinnerung hat. Eine Frau, über die es zu Beginn des Romans heisst: «Sie schien eine Spur heller zu leuchten als die Menschen um sie herum, es war ein ständiges inneres Glühen, sie glühte sogar, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, als ob sie darauf brennen würde, etwas ganz Grosses zu tun.»
«Zora wollte teilhaben am Weltgeschehen»
Als Jugendliche lernt Zora Ostan im Grenzgebiet zwischen Kroatien und Slowenien den schneidigen Italiener Pietro del Buono kennen. Die beiden werden zum Paar, das tatkräftig ins Leben schreitet und bald einen grossbürgerlichen Haushalt in Bari führt. Denn Pietro ist Radiologe mit internationalem Renommee und bald Uni-Professor. Zora managt die Familie mit drei Kindern und pflegt wichtige Beziehungen – etwa zum italienischen Kommunistenführer Antonio Gramsci oder eben zu Tito.
Den vordergründigen Widerspruch «Grossbürgertum versus Kommunismus» lässt Zora nicht gelten: «Kommunismus bedeutete für sie: Aristokratie für alle.» Solch klare Haltungen bescheren der «leuchtenden» Zora den Beinamen «Marschallin», denn: «Zora wollte teilhaben am Weltgeschehen, mehr noch: an der Weltveränderung.» Dies schafft sie in gewisser Weise, bleibt aber unzufrieden: «Sie wusste, sie stand auf der richtigen Seite der Geschichte, doch die Entwicklung führte in eine andere Richtung.» Anhand dieser zerrissenen, aber starken Frau zeichnet Zora del Buono die Geschichte ihrer Familie in bewegten Zeiten nach. Sie erzählt episodenhaft und wählt wechselnde Perspektiven, bleibt aber stets beobachtende Erzählerin.
Frage nach kollektiver und individueller Schuld
Überraschend ist Zora del Buonos Sprache, die im Gegensatz zu ihrer «Gotthard»-Novelle geradezu ausufernd erscheint. «Ich merke nicht, in welcher Sprache ich schreibe», sagt sie dazu. «Jedes Buch hat seine eigene Atmosphäre, also auch seine eigene Sprache.» Zur Fiktionalisierung einer wahren Geschichte sagt sie: «Ich konnte recherchieren. Aber war es wirklich so? All das musste ich ‹erspüren›, und insofern ist Wahrheit relativ.»
Dies führt zurück zum Familiengeheimnis. Dessen literarische Aufarbeitung habe ihr erklärt, «warum in unserer Familie immer von Schuld die Rede war». Tatsächlich thematisiert «Die Marschallin» nicht zuletzt die Frage nach kollektiver und individueller Schuld und deren Einbettung in den Zeitenlauf. Ein grosses und brisantes Thema, das Zora del Buono in einen pulsierend lebendigen, spannenden und unterhaltsamen Roman gebettet hat.
Lesungen
Mi, 30.9., 20.00 Buchhandlung Hirslanden Zürich
So, 25.10., 14.00 Theatersteg Bellevue Zürich («Zürich liest» auf dem Schiff)
So, 15.11., 20.00 Kaufleuten Zürich
www.zoradelbuono.de
Radio
So, 20.9., 10.45 SRF 2 Kultur
Zora del Buono in «52 beste Bücher» – live aus der Schweizer Nationalbibliothek Bern.
Die Veranstaltung ist öffentlich, Anmeldung über literatur@srf.ch
Buch
Zora del Buono
Die Marschallin
382 Seiten
(C.H. Beck 2020)