Ob beim freien Nacherzählen von antiken Sagen und Märchen am TV oder in seinen zahlreichen Büchern: Der vielfach preisgekrönte Österreicher Autor Michael Köhlmeier ist der geborene Geschichtenerzähler. Diese packende Kunst zelebriert er auch mit seinem neuen Roman «Frankie». Und einmal mehr geht es hier um das Ausloten von Gut und Böse – und die fehlende Moral der Geschichte.

Der Teenager mit der geladenen Pistole
Im Mittelpunkt steht der 14-jährige Frank, der in inniger Beziehung zu seiner alleinerziehenden Mutter in Wien lebt. Diese Harmonie wird aufgesprengt, als Franks Grossvater nach 18 Jahren vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Was er verbrochen hat, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Aber der bisher unbedarfte Frank, von seinem Opa in hämischem Ton Frankie genannt, entwickelt schnell eine Faszination für den wilden Ex-Häftling, der sich von niemandem etwas vorschreiben lässt.

Sein Opa behandelt ihn zwar schlecht, und ansatzweise liebevolle Szenen kippen schnell in gewalttätige. Aber der Teenager, dem die männliche Bezugsperson stets gefehlt hat, lässt sich davon nicht abschrecken und entfremdet sich im Schnelltempo von seiner geliebten Mama. Und als ihm der alte Mann eine geladene Pistole in die Hand drückt, nimmt das Schicksal seinen Lauf.

«Interessant ist, dass eine Pistole, wenn man sie bei sich hat, verlangt, dass man etwas tut», hält der Ich-Erzähler Frank lapidar fest, der nun erstmals selbst den Reiz der Macht spürt. Und so kippt die Geschichte um den naiven Jüngling unversehens in eine beinahe antike Tragödie.

Die grosse Frage «Warum?» beantwortet der alte Tyrann im Gespräch mit seinem Enkel gleich selbst: «Ich bin dahintergekommen, dass wir nicht etwas aus irgendeinem Grund tun. Das Ergebnis meines zehnjährigen Denkens lautet: Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. Und sogar das ist falsch. Weil und Warum gehören zusammen wie Trinken und Durst. Also kannst du beide Wörter streichen. Wir tun. Fertig.»

Ein aus der Zeit gefallener Protagonist
Gekonnt und mit hintergründigem Humor steuert Michael Köhlmeier seine Geschichte auf einen unerwarteten Höhepunkt und ein überraschend offenes Ende zu. Sein junger Protagonist scheint zwar etwas aus der Zeit gefallen: Weder spricht er so wie es ein heutiger Teenager tun würde, noch legt er den üblicherweise masslosen Handyoder Social-Media-Konsum an den Tag.

Der 73-jährige Schriftsteller Michael Köhlmeier erzählt hier vielmehr eine zeitlose Geschichte rund um die Frage, ob es für ungeheuerliche Taten immer eine psychologische Erklärung gibt. Oder ob das Böse wie in den Sagen des klassischen Altertums nicht auch in unserer Gegenwart unversehens einbrechen kann.

Buch
Michael Köhlmeier - Frankie
208 Seiten (Hanser 2023)