Die Frau kann sich ihr Dasein auf dieser Welt nicht erklären: «Wie hatte man mich in diesem Krieg und unter diesem Regime zeugen können? Eine Absurdität.» Die Protagonistin Charlotte stellt sich diese verzweifelte Frage in dem Buch «Die Unerwünschte» der norddeutschen Schriftstellerin Elisabeth Plessen. Auch die Autorin kam im Zweiten Weltkrieg zur Welt.
Das Ende einer Epoche
Die Schriftstellerin schildert den Niedergang von zwei benachbarten Gütern im Norden Deutschlands – Gut Greiffensee und Gut Ahlefeld. Die in der Zwischenkriegszeit noch prosperierenden Landsitze erfahren einen unaufhaltsamen Niedergang. Die Nationalsozialisten, die veränderten Wirtschaftsverhältnisse der Nachkriegszeit und die Weltblindheit der Familienmitglieder besiegeln das Ende der adligen Epoche.
Elisabeth Charlotte Marguerite Augusta Gräfin von Plessen heisst die Autorin ursprünglich. Sie wuchs in einer dekadenten Welt des Vorgestern auf. Aber sie löste sich schnell von den familiären Zwängen, studierte Literatur und Geschichte in Paris und Berlin, demonstrierte mit den 1968ern. Im Jahr 1976 machte sie sich erstmals einen Namen mit dem Roman «Mitteilung an den Adel», in dem sie ebenfalls ihre Herkunft verarbeitete. Plessens Lebensgefährte war der in Zürich bekannte, linke Theatermann Peter Zadek. Sie lebt heute in Berlin und in der Toskana.
Die Frauen als Bürdenträgerinnen
Die ihr nachgezeichnete Protagonistin Charlotte fühlt sich als Kind unverstanden und vor allem ungeliebt. Denn Gefühle hat man zwar, zeigen darf man sie indes nicht. Charlotte reibt sich vor allem an ihrer Tante Stefanie, die ihre grosse Liebe aus Standesdünkel nicht heiraten durfte. Die Frau führt eine unglückliche Ehe mit einem sterbenslangweiligen Mann. Das Paar hat vier Töchter. Die eine stirbt bei einem Verkehrsunfall, die andern entscheiden sich für ein bürgerliches Leben in einer aufgeklärten Zeit.
Plessen hat einen facettenreichen Roman geschrieben. Sie verurteilt offenkundig die Arroganz der deutschen Landjunker, einer reaktionären Klasse, die sich nach dem 18. Jahrhundert zurücksehnte. Aber die Autorin zeigt auch mitfühlend die Vielschichtigkeit ihrer Figuren. Am besten gelingt ihr das bei der Protagonistin Stefanie, die um ihre grosse Liebe betrogen wurde. Die Frau ist zwar in ihrer eigenen Vorstellungswelt gefangen und frönt einer gnadenlosen Selbstgerechtigkeit. Aber sie zeigt im Einzelfall auch Grosszügigkeit, etwa gegenüber ihren Enkeln.
Ist eine adlige Herkunft eine Bürde fürs Leben, sodass sie sich die Belastung vom Leib schreiben muss? Plessen antwortete auf die Frage in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» mit dem Verweis auf die drei Generationen, die der Roman abdeckt: «Die Rolle der Frauen hat sich im Lauf dieser Zeit absolut geändert.» Von der Weimarer Republik über die Nazizeit, wo die Frauen durch die Kriegswirtschaft zum Arbeiten gezwungen waren, bis zum Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, das in den letzten Zuckungen des deutschen Adels endet: Die Frauen mussten stets eine Last tragen, wurden aber kaum wahrgenommen.
Plessen hat ein lesenswertes Buch geschrieben. Sie beherrscht die Kunst der Auslassung. Manche Erzählstränge führt sie nicht zu Ende oder tönt nur einen denkbaren Ausgang an. Und zwingt so zum Mitdenken.
Buch
Elisabeth Plessen
Die Unerwünschte
379 Seiten
(Berlin Verlag 2019)