Ein diffuses Gefühl der Hoffnungslosigkeit zieht sich durch diesen Roman. Marion Messina beginnt ihn mit der öffentlichen Selbstverbrennung eines Studenten in einem totalitären Frankreich, in dem die soziale Ungleichheit und die Wut so stark schwelen, dass es nur einen Funken braucht, um ein loderndes Feuer zu entfachen.
Die Handlung spielt in einer nahen Zukunft, in der Frankreich kapital getrieben und populistisch von einer Technokratin regiert wird. Lange Zeit passiert wenig. Statt dessen porträtiert Messina neben der Präsidentin drei Protagonisten, die sich in diesem verrohten Land alle auf ihre Weise durchschlagen.
Gegängelt, an den Rand gedrängt, enteignet
Da ist Sabrina, alleinerziehende Lehrerin mit algerischen Eltern, die jeden Cent umdrehen muss. Ihre Teenagertochter zieht plötzlich den Vater vor, der ihre frühen Kindheitsjahre mit Selbstoptimierung statt mit elterlicher Fürsorge verbracht hatte. Sabrina, vom System an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben, schubst einen ihrer Schüler mit besonderen Bedürfnissen an die Wand. Da ist Aurélien, Kastanienbauer in der siebten Generation, gegängelt von den vielen Regierungsauflagen, Ehemann einer Frau, die von der Stadt träumt.
Einer von Auréliens Bäumen dient seinem Freund Philippe als Galgen, nachdem dessen Aprikosenbäume zwangsgerodet wurden. Bei den Bäumen war ein ungefährliches Virus festgestellt worden, das aber optische Anomalien verursacht und deshalb als «Quarantäneschädling» klassifiziert ist. Und da ist Paul, der gescheiterte Literaturwissenschafter aus bürgerlichem Haus, der nach einer Depression ins abgelegene Ardèche flüchtete, um Metzger zu werden.
Dort muss er seinen Intellekt vor der Kundschaft, die sich gern überlegen fühlt, verbergen, um seine prekäre Arbeitsstelle nicht zu riskieren. Die einzelnen, mit wenigen Strichen aussagekräftig skizzierten Porträts verwachsen zopfartig ineinander, bis ein Gesellschaftsbild entsteht, das düster ist, voller Klassenkampf – und gerade in diesen Monaten er schreckend realistisch.
«Die Hölle, das sind die anderen»
Während die Handlung am Schluss vorhersehbar in einer eher oberflächlich beschriebenen Strassenschlacht eskaliert, überzeugen die Figuren mit überraschend vielseitigen Perspektiven. Gemeinsam ist ihnen ein Zynismus und der Glaube an Sartres «Die Hölle, das sind die anderen». Hier schenkt niemand niemandem etwas.
Messina richtet den Blick auf die Agrarpolitik, feine Klassenunterschiede und einen eklatanten Stadt-Land-Graben. In seiner Kompromisslosigkeit ist dieses Buch sehr französisch, ein wenig Zugewandtheit würde die Figuren greifbarer machen. So stehen sie eher im Dienst der Gesellschaftskritik, was diese jedoch nicht weniger interessant macht.
Buch
Marion Messina
Die Entblössten
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
171 Seiten
(Hanser 2024)