Es gibt Autoren, die in Varianten immer wieder dasselbe Buch schreiben. Dazu gehört Arno Geiger nicht, vielmehr erfindet er sich stets neu. Für den Roman «Reise nach Laredo» begibt er sich nun ins 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt: Kaiser Karl V., der 1556 abdankte und sich in ein Kloster im spanischen Cuacos de Yuste zurückzog. Geiger geht es aber nicht um die historischen Hintergründe, sondern um den «Privatmann Karl», der hier, umgeben von gelangweilten Bediensteten, einsam, mürrisch und todkrank seine letzten Jahre verbringt.
In der grotesken Anfangsszene wird Karl splitternackt mittels einer Hebevorrichtung in einen Zuber mit heissem Wasser gehoben, begafft vom staunenden Publikum. Im Kloster will der abgetretene Kaiser nach einem Leben, in dem es stets um Macht und Krieg ging, herausfinden, wer er eigentlich ist, «um sich vor Gott in höchst eigener Person zu verantworten». Doch das stellt sich als schwieriger heraus als vermutet. Er hat das Gefühl, «dass nach Beendigung der Laufbahn nicht die Persönlichkeit hervor getreten ist, sondern die Leere».
Gebrechen sind plötzlich wie weggeblasen
Aber dann begibt sich Karl – völlig unerwartet – auf das letzte Abenteuer seines Lebens. Endlich wird ihm klar, wofür es sich zu leben lohnt. Zusammen mit dem elfjährigen Geronimo, der nicht weiss, dass er Karls unehelicher Sohn ist, macht er sich auf die Reise nach Laredo. Eine Reise, in der sich das Schöne und das Schreckliche des Lebens ungefiltert zeigen.
Gleich zu Anfang retten die beiden zwei Aussenseiter, die zu den diskriminierten Cagots gehören, vor ihren Schergen. Fortan sind sie mit der jungen Angelita und ihrem Bruder Honza zu viert unterwegs. Und Karl, der an Wechselfieber und anderen Gebrechen gelitten hatte, kostet das erste und letzte Mal das pralle Leben aus – mit Saufen, Tanzen, Prügeln, Zocken und unerwarteten Glücksmomenten mit seinen Gefährten. Arno Geiger spielt in dieser Geschichte mit den Genres, nimmt es weder mit der historischen Figur noch mit der Wirklichkeit genau.
Ein Greif – ein Fabel-Mischwesen aus Raubvogel und Löwe – tritt so selbstverständlich auf wie der todkranke Karl sich plötzlich ungehindert auf sein Pferd schwingt. Und über allem stehen die grossen Menschheitsfragen: Wer bin ich, wohin gehe ich? Bis Arno Geiger in einem letzten Wirbel mit einem literarischen Kniff alles auflöst.
Buch
Arno Geiger
Reise nach Laredo
272 Seiten
(Hanser 2024)