Höflichkeit geziemt sich für eine Königin nicht. «Sie sind für mich Gift, nichts weiter», sagt Queen Anne, die letzte Monarchin der Stuarts in London. Mit diesen Worten kanzelt sie den Oppositionellen Daniel de Foe (heutige Schreibweise: Defoe) ab. Die Szene soll sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts in London abgespielt haben, nachdem sich de Foe bei ihrer königlichen Hoheit für die Pressefreiheit eingesetzt hatte. Doch die Lady hatte für das Ansinnen kein Gehör, denn Grossmut lag ihr nicht. Die Queen hasste ihr Amt. Sie verabscheute ihre Mitmenschen generell und die Oppositionellen im Besonderen, da diese ihr den adligen Alltag versauerten.
Von dieser unerfreulichen Begegnung berichtet Markus Gasser in seinem Roman «Die Verschwörung der Krähen». Er schildert in seiner fiktionalen Biografie das abenteuerliche Leben des Schriftstellers Daniel de Foe, der mit seinem Roman «Robinson Crusoe» Weltruhm erlangte. Leider nicht zu seinen Lebzeiten. Da hatte der Mann eher mit den unerfreulichen Seiten des Lebens zu kämpfen, weil ihn kaum einer verstehen wollte: Er war ein Moralist, der an die Werte der Aufklärung glaubte und die reaktionäre Obrigkeit im 18. Jahrhundert unerschrocken bekämpfte. In London herrschten damals jedoch politische Willkür und Rechtlosigkeit. So hatte es ein Rechtschaffener wie er schwer.
De Foe drohte der Tod durch den Galgen
Daniel de Foe landete im Londoner Newgate-Gefängnis zu einer Zeit, als ein sozialverträglicher Strafvollzug noch keinen Einzug gehalten hatte. Der Unerschrockene schmorte dort in einem Loch und musste damit rechnen, am Galgen von Tyburn zu baumeln. Denn er hatte mehr Schulden am Hintern, als er je absitzen konnte, und sein freches Maul wirkte sich nicht strafmildernd aus. Erst als er sich bereit erklärte, mit den Handlangern des Regimes zusammenzuarbeiten, durfte er die Gnade der Freiheit erfahren.
Faszination für Londons Untergrundmilieu
Aber warum hat sich der bei Zürich lebende Markus Gasser dieser Figur angenommen? Zumal jene Epoche von manch anderen schrägen Vögeln bevölkert war, deren Leben besser dokumentiert ist. De Foe sei es «immer wieder gelungen, seine Identität zu verbergen und seine Spuren zu verwischen», sagt der Autor auf Anfrage. Genau das habe ihn an der Figur interessiert.
Gasser hat einen episodenhaften Abenteuerroman geschrieben, den er geschickt in die Literaturgeschichte einwebt. Dazu hat ihm ein zweiter Roman von de Foe gedient: «Molly Flanders». Dieser spielt in jenem Untergrundmilieu Londons, das sich in «The Beggar’s Opera» von John Gay und später in Bertolt Brechts «Dreigroschenoper» spiegelte. So begegnen wir dem Verbrecher Jonathan Wylde, der als heimlicher Herrscher über das dunkle London gebot und Züge von Brechts Mackie Messer trägt: «Hatte er einen Dieb in der Hand, konnte er ihn verwalten, fördern, schnappen, fallen lassen, je nachdem, wie der Dieb nutzbar zu machen war.» Dem sagt man heute organisiertes Verbrechen.
Erfinder der True-Crime-Reportage
Gemäss Gasser erkannte de Foe den publizistischen Wert dieses Milieus und schrieb in seinem «Applebee’s Original Weekly Journal» darüber: «Er schuf die True-Crime-Reportage und machte aus Einbrechern, Mördern und Prostituierten Berühmtheiten.» Wie so vieles bei de Foe ist auch diese Episode in seinem Leben historisch umstritten. Niemand weiss, wie viele Beiträge in dieser Zeitschrift tatsächlich vom «Robinson»-Autor stammen.
Markus Gasser
Die Verschwörung der Krähen
238 Seiten
(H.C. Beck 2022)