Roman: Der stille Nomade
Der Zürcher Autor Jürg Beeler erzählt in seinem neuen Roman eine zarte Geschichte um Liebe, Trauer und Heimatlosigkeit. Schauplatz ist eine Piazza in Süditalien.
Inhalt
Kulturtipp 19/2022
Babina Cathomen
Der Schauspieler und Pantomime Matteo war noch nie ein Mann der grossen Worte, doch als ihm auch auf der Bühne in der Rolle von «King Lear» die Worte versagen, zieht er sich ganz zurück: «Vom Rampenlicht trat ich in ein Dunkel hinaus. » So beschreibt es Matteo in einem seiner Notizhefte, aus denen der Roman «Die Zartheit der Stühle» besteht. Schriftsteller Jürg Beeler erzählt aus der Sicht eines alternden Mannes, der durch den Tod s...
Der Schauspieler und Pantomime Matteo war noch nie ein Mann der grossen Worte, doch als ihm auch auf der Bühne in der Rolle von «King Lear» die Worte versagen, zieht er sich ganz zurück: «Vom Rampenlicht trat ich in ein Dunkel hinaus. » So beschreibt es Matteo in einem seiner Notizhefte, aus denen der Roman «Die Zartheit der Stühle» besteht. Schriftsteller Jürg Beeler erzählt aus der Sicht eines alternden Mannes, der durch den Tod seiner Lebenspartnerin in Trauer gefangen ist und sich an seinen Sehnsuchtsort nach Süditalien zurückzieht. In der (fiktiven) Kleinstadt Lerone verbringt Matteo sinnierend und schreibend seine Tage auf der Piazza d’Oriente. Bis Vera in sein Leben tritt. Die temperamentvolle Komponistin stört mit ihren zwei lauten Rollkoffern die Nachmittagsstille auf der Piazza – und übt auf Matteo eine unerklärliche Faszination aus. Dass sie nicht zufällig in Lerone ist, wird sich erst gegen Ende des Romans aufklären …
Die aufgewühlte Seele auf der stillen Piazza
Im ruhigen Erzählfluss beschreibt der 65-jährige Autor rückblickend das Leben seines Protagonisten, das untrennbar mit der verstorbenen Geliebten Zofia und seiner Affäre Vera verknüpft ist. «Zofia hielt mich, während Vera mich durchwühlt », notiert sich Matteo in einem seiner Notizhefte, aus denen er ein «Buch über die Liebe» gestalten will. Beeler geht dem Innenleben seines Protagonisten, der sich selbst eine «Untauglichkeit in Sachen Liebe» attestiert, in lyrisch-musikalischer Sprache auf den Grund. Er zeigt diesen älteren, schweigsamen Mann in seiner ganzen Verletzlichkeit und auch seiner Unfähigkeit zu handeln. Die Piazza bildet im Kontrast zur aufgewühlten Seele den ruhenden Pol. In sich zu Hause fühlen sich seine Figuren nicht. «Die Heimatlosigkeit spielt in all meinen Romanen eine Rolle», hat Beeler in einem Interview gesagt. In seinem neusten Werk bleibt besonders Matteo ein Nomade auf der Suche nach sich selbst.
Jürg Beeler
Die Zartheit der Stühle
224 Seiten (Dörlemann 2022)