Roman - Der grosse Wald als wilde Braut
Die Genfer Autorin Douna Loup gilt es noch zu entdecken: Ihr kürzlich auf Deutsch erschienener Roman «Die Schwesterfrau» ist ein starkes Debüt.
Inhalt
Kulturtipp 12/2012
Babina Cathomen
Douna Loup hat ein Buch geschrieben, das zu ihrem klingenden Namen passt: Ihr Protagonist ist ein einsamer Mensch, der wie ein Wolf mit Vorliebe jagend in den Wäldern herumstreift. Der 25-jährige Ich-Erzähler ist als Waise bei seinen Grosseltern aufgewachsen. Sein Grossvater Lou hat ihn als Kind den Umgang mit der Waffe gelehrt und ihn in die Geheimnisse der Jagd eingeführt. Der Wald ist der Ort, an dem sich der junge Mann gleichzeitig frei und beschützt fühlt. W...
Douna Loup hat ein Buch geschrieben, das zu ihrem klingenden Namen passt: Ihr Protagonist ist ein einsamer Mensch, der wie ein Wolf mit Vorliebe jagend in den Wäldern herumstreift. Der 25-jährige Ich-Erzähler ist als Waise bei seinen Grosseltern aufgewachsen. Sein Grossvater Lou hat ihn als Kind den Umgang mit der Waffe gelehrt und ihn in die Geheimnisse der Jagd eingeführt. Der Wald ist der Ort, an dem sich der junge Mann gleichzeitig frei und beschützt fühlt. Wann immer es ihm die Zeit nebst seiner eintönigen Fliessbandarbeit erlaubt, sucht er ihn auf. «Der Wald ist gross, tief, er bebt, lebt und belebt», beginnt sein Monolog. Ab und zu hat er das Verlangen nach einer unverbindlichen Affäre, die er beendet, sobald es zu eng wird.
Eines Tages offenbart sein geliebter Wald ein anderes Gesicht: Der junge Mann findet einen Toten, neben dem ein Notizbuch mit dessen letzten Gedanken liegt. Dieser Fund lässt den Ich-Erzähler nicht mehr los. Denn bis dahin hatte er den frühen Tod seiner Eltern verdrängt. «Der Tod hat sie nun mal, wies halt so ist, seinerzeit ereilt», berichtet er beiläufig aus seiner Vergangenheit.
Doch dann tritt eine Frau in sein Leben, die ebenso verloren ist wie er selbst: Die 20-jährige Zora, die sich seit der Flucht aus ihrem Heimatland Eva nennt, bewegt sein Herz wie keine Frau zuvor. Ihre erste Begegnung ist explosiv, beide verteidigen ihren Drang nach Freiheit und absoluter Autonomie, mit aufeinander- gerichteten Waffen. Erst nach und nach nähern sie sich einander an: «Ich weiss nicht, wer sie ist; gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sie mir unglaublich nah ist, so nah, dass mir scheint, sie berühre zutiefst in meinem Innern Dinge, von denen ich nichts weiss.» Sie nennen sich Bruder und Schwester, um sich vor zu viel Nähe zu schützen. Und doch sind sie bald mehr als Geschwister, durchbrechen ihre von der Vergangenheit hart gewordenen Panzer.
Der beim Erscheinen des Buchs 28-jährigen Autorin gelingt es, die Gefühlswelt des 25-jährigen Einzelgängers glaubhaft darzustellen. In einem Interview mit ihrem Verlag Mercure de France sagt die zurückhaltende Schriftstellerin, dass sie besser schreiben könne, wenn sie sich hinter einer anderen Figur verstecke. Die männliche Perspektive habe sich ihr regelrecht aufgedrängt.
Voller Sinnlichkeit
Mit ihrem Erstling hat Douna Loup einen sinnlichen Roman geschaffen. Wald und Weiblichkeit, Natur und Sexualität verschmelzen zu einer Einheit: «Ich denke an meinen Wald, meine Waldung, meine wilde Braut voller Leben, die an Mensch und Tier ihre Kratzspuren hinterlässt (...)» Diese Metapher zieht sich durch ihr Werk und wiederholt sich in Variationen. In einer eigenen Sprache, die manchmal durch ihre Mischung von poetischer und salopper Ausdrucksweise irritiert, erzählt sie von der zarten Liebesgeschichte. Von «null Bock auf Liebesgeflüster» wechselt der Ich-Erzähler zu ausdrucksstarken Szenen, die insbesondere im Wald und bei der Begegnung mit Zora/Eva ihre Sprachkraft entfalten. Ihr Protagonist selbst entdeckt die Macht der Sprache aber erst bewusst, als er durch eine Arbeitskollegin und flüchtige Affäre mit Büchern in Kontakt kommt – und findet auch dadurch einen Weg aus der Einsamkeit.
[Buch]
Douna Loup
«Die Schwesterfrau»
Aus dem Französischen von
Peter Burri
158 Seiten
(Lenos Verlag 2012).
[/Buch]