Wer ist dieser mysteriöse Gast, der eines Tages zu der namenlosen Ich-Erzählerin in das zehnte Zimmer eines vollgestopften Hauses in einer Kleinstadt einzieht? Ein Mensch mit tierischen Eigenschaften, ein Wesen mit Pinselfingern, ein Fremder – bis zum Schluss bleibt im Roman der Basler Autorin Ariane Koch unklar, wer der Unbekannte ist und warum er sich von seiner Gastgeberin derart schlecht behandeln lässt. Die Beziehung der beiden schwankt zwischen Nähe und Distanz, Aufdrängung und Ablehnung, kippt zuweilen gar in offenen Hass.
Von Staubsaugerrüsseln bedrängt
Es sind zwei verlorene Gestalten, die in diesem kafkaesken Roman im Mittelpunkt stehen. «Seit des Gastes Ankunft vergesse ich immerzu, wer ich war und wer ich bin und wohin ich gehöre», sagt die Ich-Erzählerin. Gleichzeitig versucht sie, den Unbekannten nach ihrem eigenen Gusto zu formen, und stellt ein absurdes Regelwerk auf, dem er sich unterwerfen soll. Erzählt wird aus Sicht der Hausbesitzerin, der Mitbewohner selbst kommt nicht zu Wort und nimmt so nur durch die sich zuweilen widersprechenden Beschreibungen der Gastgeberin schemenhaft Gestalt an.
Mit «Die Aufdrängung» hat die 33-jährige Basler Autorin für Furore gesorgt: Ihre in Form und Inhalt eigensinnige Geschichte ist im renommierten Suhrkamp-Verlag erschienen und hat den aspekte-Literaturpreis für das beste Debüt gewonnen. In lose zusammenhängenden, knappen Szenen setzt sich Ariane Koch kritisch und zuweilen mit groteskem Humor mit unserem Umgang mit dem Fremden auseinander – mit Gastfreundschaft, die schnell kippen kann, sobald ein Problem auftaucht. Der Gast, der eine fremde Sprache spricht und an einem Kriegstrauma leidet, wie die Ich-Erzählerin andeutet, könnte auch ein Flüchtling auf der Suche nach Asyl sein. Die Gastgeberin lässt sich gern für ihr «soziales und humanes Engagement» bewundern, mit der viel zitierten Gastfreundschaft hapert es allerdings gewaltig. Der Fremde muss in einem mit kaputten Staubsaugern vollgestopften Zimmer hausen, wo er in der Nacht von «schlackernden Staubsaugerrüsseln» bedrängt wird. Ihren Mitbewohner bezeichnet sie schon mal als Ungeziefer oder will ihn aushungern, damit er verschwindet.
Ausbruch aus der beengenden Kleinstadt
«Mich reizen bösartige Frauenfiguren, weil sie in der Kunst noch nicht so oft vorkommen», sagte Koch in einem Interview mit Radio SRF. Mit ihren Texten möchte sie den gesellschaftlichen Erwartungen andere Bilder entgegensetzen, mit herkömmlichen Geschlechternormen brechen. Die in Basel und Berlin lebende Autorin schreibt nebst Prosa und Hörspielen auch für das Theater und hat bildende Kunst studiert. Diese Bildhaftigkeit, der Sinn für Ästhetik, zeigt sich auch in der Sprache ihres Debütromans, der mit pointierten Sätzen aufhorchen lässt.
Vieles bleibt bis am Schluss im Unklaren. Durch ihren Gast macht die Ich-Erzählerin aber eine Wandlung durch: Endlich bricht sie selbst aus der beengenden Kleinstadt aus, in die sie «unfreiwillig hineingeboren worden ist», und macht sich selbst auf in die Fremde.
Buch
Ariane Koch
Die Aufdrängung
179 Seiten
(Edition Suhrkamp 2021)