ROMAN Dem Risiko verfallen
Im neuen Roman «Das Leuchten in der Ferne» des Schriftstellers Linus Reichlin lässt sich ein Kriegsreporter auf ein Abenteuer in Afghanistan ein. Von der Liebe geblendet, wird er zur Geisel der Taliban.
Inhalt
Kulturtipp 06/2013
Jonas Frehner
Moritz Martens ist ein Genussmensch. Auf gutes Essen, süffigen Wein und wohlklingende Gedichte möchte er nicht verzichten. Martens ist Kriegsreporter, wenn auch einer, der mit seinen 55 Jahren nicht mehr gefragt ist. Die träge Routine in Berlin ist ihm lästig. Er will weg, denn er liebt das Unvorhersehbare und die lauernde Gefahr in Kriegsgebieten.
Der geheimnisvollen Halbafghanin Miriam Khalili fällt es deshalb leicht, ihn für ihre Geschichte zu gewinnen. S...
Moritz Martens ist ein Genussmensch. Auf gutes Essen, süffigen Wein und wohlklingende Gedichte möchte er nicht verzichten. Martens ist Kriegsreporter, wenn auch einer, der mit seinen 55 Jahren nicht mehr gefragt ist. Die träge Routine in Berlin ist ihm lästig. Er will weg, denn er liebt das Unvorhersehbare und die lauernde Gefahr in Kriegsgebieten.
Der geheimnisvollen Halbafghanin Miriam Khalili fällt es deshalb leicht, ihn für ihre Geschichte zu gewinnen. Sie erzählt Martens von einem Mädchen, das als Junge verkleidet unter Talibankämpfern lebt. Martens lässt sich trotz Vorbehalte auf die Story ein und reist mit Miriam nach Afghanistan.
Verschiedene Welten
In bildhafter Sprache nimmt der Wahlberliner Linus Reichlin die Leser mit in ein Land, in dem Kulturen und Religionen aufeinanderprallen. Er beschreibt die in Afghanistan herrschenden Zustände aus verschiedenen Blickwinkeln: Dem der Taliban, aber auch dem der deutschen Besatzer. Reichlin greift dabei auf Informationen aus zweiter Hand zurück und bringt dank seinem feinen Gespür fürs Schreiben von Reportagen dem Leser Landschaft und Kultur Afghanistans näher. Gleichzeitig lässt er ihn aber auch an der Gedanken- und Gefühlswelt seines Protagonisten teilhaben. Etwa, wenn Martens die aufkeimende Beziehung zwischen sich und Miriam analysiert – mit der Ruhe eines 55-Jährigen, der zu wissen glaubt, wie Liebe funktioniert. Doch Martens verzeiht Miriam ihre Lügen auch dann noch, als ihm deren ganze Tragweite bewusst wird.
Bald bekommt der Kriegsreporter zu spüren, was es mit diesen Lügen auf sich hat. Durch die Liebe geblendet, lässt er Miriam trotzdem nicht im Stich. Während der Fahrt auf der Ladefläche eines Pick-Ups zum Versteck der Taliban wendet sich Martens seinem immer griffbereiten Gedichtband von Rilke zu. «Sieh dir die Liebenden an, wenn erst das Bekennen begann, wie bald sie lügen», liest er. Doch auf das Lügen folgt in Martens’ Fall das Verlassen. Miriam lässt ihn mit den Taliban in den kargen Bergen Afghanistans zurück. Er lernt dort, abgeschieden von der geordneten Welt, was Hunger und Kälte wirklich bedeuten. Die Liebe zu Miriam rückt in immer weitere Ferne.
Linus Reichlin beschreibt das Leben der Taliban, die Abgeschiedenheit und Natur, als hätte er selbst mit ihnen gelebt. Er packt verschiedene Elemente in seinen Roman: Liebe, Abenteuer, Krieg und den Graben zwischen Kulturen und Religionen. Dies fügt der Autor zu einem Gesamtpaket, das überzeugt.
[Buch]
Linus Reichlin
«Das Leuchten in der Ferne»
299 Seiten
(Galiani Berlin).
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