Wo findet sich das Glück? Dieser Frage geht die italienische Autorin Milena Agus in ihrem neuen Werk nach. Anhand einer Familie aus Sardinien zeigt sie, wie der unterschiedliche Blick auf die Welt das Glücksbarometer massgeblich mitbestimmt. Die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Ester etwa will immer dort sein, wo sie gerade nicht ist: In Genua und in Mailand nach dem Zweiten Weltkrieg ist sie tief unglücklich und sehnt sich nach ihrer Heimat Sardinien. «Wie schafft man es bloss, an einem Ort wie diesem zu leben?», fragt sie oft und ärgert sich über alles und jeden.
Und so kehrt sie mit ihrem Mann Raffaele und ihrer Tochter Felicita zurück in ihr sardisches Dorf – und stellt fest, dass sie hier genauso unglücklich ist. Erst als sich ihre Tochter mit einem Jungen aus adligem Haus verlobt, freut sie sich und legt sich für die bevorstehende Hochzeit ins Zeug.
Lebendiges Bild der wilden Insel-Landschaft
Doch die selbstbewusste Felicita macht ihr einen Strich durch die Rechnung: Weil sie spürt, dass ihr Verlobter sie nur aus Pflichtbewusstsein heiraten will, sagt sie die Hochzeit ab – und macht sich schwanger und frohen Mutes auf in die sardische Hauptstadt Cagliari, wo sie ihr Kind ohne Vater aufziehen will. Felicitas Vermieterin Marianna erinnert zwar mit ihrer Leidensmiene und ihrem Pessimismus an ihre Mutter Ester, dennoch befreunden sich die beiden. Und Felicita zieht in der ärmlichen Wohnung im Hafenviertel in Cagliari ihren Sohn Gregorio auf – ein Junge mit sonderbaren Angewohnheiten, der es bis nach New York schaffen wird.
Die Romane von Milena Agus, die als Lehrerin und Autorin in Cagliari lebt, spielen stets auf Sardinien. «‹Eine fast perfekte Welt› ist aus dem Wunsch entstanden, ein Sardinien zu retten, das es ohne Bücher möglicherweise eines Tages nicht mehr gibt», sagt sie. Und so zeichnet sie auch in ihrem neusten Werk ein lebendiges Bild der wilden Landschaft Sardiniens oder des bunten Hafenviertels in Cagliari.
In schlichter Sprache erzählt sie von der kargen Schönheit dieser Insel und von drei Generationen, die so unterschiedlich mit den gegebenen Lebensumständen umgehen. Die Figurenzeichnung gerät dabei etwas gar eindimensional: Ihre Protagonisten sind entweder stets optimistisch und trotz schwieriger Lage offen für die kleinen Freuden, die an jeder Ecke auftauchen, wenn man sie nur sieht. So wie Felicita, die das Glück bereits im Namen trägt, oder ihr Vater Raffaele. Oder aber sie sehen wie Felicitas Mutter Ester und ihre Freundin Marianna immer schwarz und bewegen sich dauernörgelnd durch die Welt.
Lebensweisheiten mit einem Schuss Humor
Dass Felicita, die stets mit Herz und Bauch entscheidet, einfacher durchs Leben kommt, versteht sich von selbst. Ihre «ermutigenden Lebensweisheiten» hat Milena Agus ihrer eigenen Cousine abgeschaut, wie sie im Nachwort vermerkt, lockert diese aber glücklicherweise mit einer gesunden Portion Humor auf. Und so sorgt die literarische Reise in ein vergangenes Sardinien für etwas südliches Flair in Zeiten, in denen das Kopfkino die Ferien in der Ferne ersetzt.
Buch
Milena Agus
Eine fast perfekte Welt
Aus dem Italienischen von Monika Köpfer
208 Seiten
(dtv 2020)