Kate Brady und Baba Brennan zogen rauchend und trinkend durch Dublin, Kate hatte eine Affäre mit einem verheirateten Mann – und Irland tobte. «The Country Girls» hiess das Buch, in dem die Schriftstellerin Edna O’Brien vor gut 60 Jahren zwei junge Frauen dem patriarchalen, von der Kirche dominierten irischen Landleben entfliehen liess. Es wurde sofort verboten. Premierminister Charles Haughey persönlich schimpfte den Roman «Dreck». Eine Bücherverbrennung gab es auch.
Frances und Bobbi ziehen rauchend und trinkend durch Dublin, Frances hat eine Affäre mit einem verheirateten Mann – und Irland jubelt. Nein, die halbe Welt jubelt. Sally Rooneys Debüt «Gespräche mit Freunden» wurde 2017 im angelsächsischen Raum für mehrere Buchpreise nominiert.
Ein Roman, der das «alte Irland» hinter sich lässt
Wie einst Edna O’Brien gilt die 28-jährige Rooney seither als Stimme ihrer Generation. Die irische Gesellschaft, über die Rooney schreibt, hat sich jedoch gänzlich verändert. Die katholische Kirche ist längst entmachtet, Irland ist heute ein globalisiertes und weitgehend liberales Land. In diesem Land leben die Studentinnen Frances und Bobbi, die Protagonistinnen in Sally Rooneys Erstling, der nun auf Deutsch vorliegt. Die beiden kennen sich seit der Schule, waren einmal ein Paar. Jetzt bespielen sie die offenen Bühnen Dublins als Dichter-Duo. So lernen sie das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen – er Schauspieler, sie Journalistin, welche die beiden porträtieren will. Frances beginnt eine Affäre mit Nick – eine Belastung für die Freundschaft mit Bobbi.
Rooneys Roman ist, wie der «Guardian» trefflich schrieb, «post-irisch». Die Autorin lässt ihre Protagonistinnen nicht wie bisher in der irischen Literatur gang und gäbe mit gesellschaftlichen Umständen hadern, sondern primär mit sich selber. Die beiden sind Produkte von Social Media und Dauerkommunikation. Das Selbstbild und die Kontrolle darüber bedeuten ihnen alles. Ich-Erzählerin Frances gibt sich stets distanziert, kommuniziert nur ironisch und bezeichnet sich als «unemotional». In ihrem Innern jedoch ringt sie: mit dem Selbstbewusstsein, mit der unerwiderten Liebe zu Nick, mit dem trinkenden Vater. Wunderbar zeigt Sally Rooney diese Disharmonien auf. Mal lässt sie Frances’ schneidige Kommentare auf ihre Gedanken des Zweifelns prallen und straft sie so ganz beiläufig eine Lügnerin. Mal lässt sie die Widersprüche als beängstigende Wahrnehmungsstörungen auftreten: Sie kann sich ihr eigenes Gesicht nicht mehr vorstellen. «Als hätte jemand das Ende eines unsichtbaren Bleistifts gehoben und behutsam mein gesamtes Erscheinungsbild ausradiert.»
Gewitzt und präzise mit blumigen Miniaturen
Sally Rooney erweist sich als genaue Beobachterin menschlichen Verhaltens und als gewitzte wie präzise Autorin. Immer wieder streut sie kleine, blumige Miniaturen in ihren meist nüchternen Textfluss. Nicht alle kommen in der deutschen Übersetzung richtig zur Geltung. «Gespräche mit Freunden» ist dennoch ein Lesegenuss über die kleinen und grossen Fallstricke des Lebens – die sind in Irland nicht anders als im Rest der Welt.
Buchverlosung siehe Seite 4
Buch
Sally Rooney
Gespräche mit Freunden
Aus dem Englischen von Zoe Beck
384 Seiten
(Luchterhand 2019)