Eine prunkvoll geschmückte Lady mit herausforderndem Blick ziert das Cover von Julia Kohlis zweitem Roman mit dem klingenden Titel «Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung». Dante Rossettis Gemälde passt gut zu Kohlis Protagonistin Matylda, die im heutigen Zürich lebt und als Multimillionärin nicht weiss, wohin mit dem vielen Geld. «In all dieser Üppigkeit und Schönheit auf Rossettis Gemälde ist auch ein mögliches Ersticken eingeschrieben.
Die Hände sind ja so seltsam in den Halsketten verheddert, die Frau könnte sich strangulieren», meint die Autorin auf Anfrage und sieht in dieser Geste Parallelen zu Matylda, die sich oft unfrei fühlt. Was zunächst als böse Abrechnung über dekadenten Reichtum gedacht war, wie Julia Kohli sagt, wurde zum vielschichtigen Roman über eine ambivalente Figur.
Weltekel gegenüber Kaviarpyramiden
Julia Kohli, die bereits mit dem Debütroman «Böse Delphine» ihre Ader für bissigen Humor und satirische Gesellschaftskritik zeigte, beschreibt ihre 58-jährige Protagonistin als Misanthropin – mit zunehmendem Alter hat diese für ihre Mitmenschen und die Kunstwelt, in der sie sich als Mäzenin bewegt, nur noch Spott übrig.
«Kunst ist doch nur noch eine Waschanlage für Despotengelder», stellt Matylda etwa fest und mokiert sich über die «inszenierte Boheme». Gleichzeitig ist sie aber auch eine verletzliche, unglückliche Frau, die in ihrem dekadenten Leben vereinsamt, an Anorexie leidet und sich fast zu Tode hungert.
Den Weltekel, den die Protagonistin sowohl gegenüber «Kaviarpyramiden» als auch «aufgeblasenen Wichtigtuern» emp!ndet, beschreibt Kohli mit opulenten, teilweise grotesk überzeichneten Bildern, bei denen das Lachen im Hals stecken bleibt.
«Für Matylda und auch für mich als Autorin sind diese Überzeichnungen eine Befreiung aus der Monotonie, unkontrollierbare Wucherungen, die das Korsett sprengen», sagt Kohli. «Matylda wird etwa im Lauf der Geschichte immer besser darin, ihren Mitmenschen die Meinung zu geigen – ohne Rücksicht auf Verluste. Auf diese Weise habe ich das bisher nur in meinen Träumen getan.»
«Nation voller Duckmäuser»
Im Roman nimmt sie auch das Patriarchat ironisch unter die Lupe. «Ich untersuche, wie Frauen zu ihren eigenen Feinden gemacht werden, wie sie sich durch zerstörerisches Essverhalten und damit verbundenen Scham- und Schwächegefühlen still und ohnmächtig halten. Ein interessanter Widerspruch dazu sind die fast revolutionären Aggressionen, die Hunger auslösen kann.»
Genauso satirisch scharf ist ihr Blick auf die Schweiz, welche die polnischstämmige Matylda als zu glatt und als «Nation voller Duckmäuser» emp!ndet. Bei all den Zumutungen des Lebens kommt Matylda nach einer Reise nach Polen aber nicht umhin, sich den eigenen Problemen zu stellen und sich mit Menschen zu verbünden, mit denen sie sich nicht ganz so einsam fühlt.
Buch
Julia Kohli
Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung
294 Seiten
(Lenos 2024)