Es fängt mit einem Geheimtreffen an. Zugegen sind als Adolf Hitlers Gäste insgesamt 24 deutsche Industriekapitäne. Ihre Firmen heissen BASF, Bayer, Agfa, Opel, I.G. Farben, Siemens, Allianz, Telefunken. Die 24 «Biedermänner» sind «der Klerus der Grossindustrie». Sie finden sich zu einem Fundraising für Hitler im Palais des Reichstagspräsidenten ein. Es ist der 20. Februar 1933.
Die Folgen sind bekannt. Die Firmen werden mit den Nationalsozialisten vor dem Krieg und währenddessen gute Geschäfte machen. Und danach bleiben sie beim Geschäftsmodell: «Sie alle sollten das Regime überleben und in Zukunft mit ihren jeweiligen Erträgen noch weitere Parteien finanzieren.»
Das Berliner Treffen kurz vor der Machtergreifung der Nazis ist eine von vier Episoden, mit denen Éric Vuillard eine Art «Slapstick der Weltgeschichte» vorführt. Er zeigt, wie tatsächliche Ereignisse wie Nationalsozialismus und Weltkrieg als Schmierenkomödie daherkommen. Mit dem Entsetzen treibt er Scherz, spitzt das Historische zu als Politsatire. Im Kleinen offenbart er, wie grosse tragische Geschichte geschieht.
Historische Erzählung mit Fiktion gemischt
Dabei bedient sich Vuillard einer eigenen Methode, die Gefundenes mit Erfundenem verbindet. In aufwendigen, jahrelangen Recherchen sichtete er Quellenmaterial und wertete es aus, die Schauplätze und Figuren stimmen. Zur Ebene der historischen Nacherzählung fügt sich die literarische Fiktion. Es entsteht Wirklichkeitsliteratur in extremer Verdichtung: Das Buch, letztes Jahr in Frankreich mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet, umfasst nur 128 Seiten.
Das Weltgeschichtliche mutet an wie in einem schlechten Hollywoodfilm. In den USA hatte man übrigens bereits Kostüme und Kulissen für einen Nazifilm bereitgestellt – 1938!
Die Geschichte der Machtergreifung, der Krieg selber sind das Resultat von Hochstapelei, von peinlichen Pannen, von Inszenierungen. Eine Bilanz lautet: «Was an diesem Krieg verblüfft, ist der unerhörte Erfolg der Frechheit, der uns eines lehren sollte: Die Welt gehorcht dem Bluff.»
Lesung
Di, 4.9., 19.00 Literaturhaus Basel
Buch
Éric Vuillard
Die Tagesordnung
128 Seiten
(Matthes & Seitz 2018)