«Meine Mutter war um die zwanzig Jahre alt, glaubte an das Schicksal, daran, dass Gott ihre Gebete erhört hatte.» So blickt Alem Grabovac in seinem Debütroman «Das achte Kind» auf das Leben seiner Mutter Smilja zurück. Als sie den ersehnten Job erhält, zieht sie von Zagreb nach Würzburg, um dort in einer Schokoladenfabrik zu arbeiten. Doch nicht das Glück, sondern das Unglück erwartet die junge Frau in der Ferne. «Oft weinte sie sich nachts einsam in den Schlaf, mit bohrender Sehnsucht nach ihren Eltern und der Heimat.» Als Smilja 1973 in einer Bar Emir kennenlernt, hofft sie, dass dieser sie aus der Tristesse befreien wird.
Die Mutter schuftet, der Vater trinkt ihr Geld weg
Sie ist Kroatin, er ist Bosnier – ein Paar, dessen multikulturelles Land sich später im Krieg auflöste. Ein Jahr nach ihrem Kennenlernen kommt Sohn Alem auf die Welt, und während sie weiter schuftet, trinkt Emir ihr Geld weg. Smilja gibt ihren Sohn an eine deutsche Pflegefamilie in Baden-Württemberg, zu Marianne und Robert, die schon sieben Kinder haben – Alem wird das achte Kind. «Meinem Vater schien die Trennung von mir nichts auszumachen, er hatte kaum mitbekommen, dass ich nicht mehr da war: Er trank und feierte so ausgelassen wie zuvor.» Bei der neuen Familie fühlt der Junge sich wohl, hier gibt es Tischmanieren und das Sandmännchen. Unterdessen muss der in kriminelle Geschäfte verwickelte Emir in Jugoslawien ins Gefängnis. Alem verbringt die Wochenenden bei seiner Mutter, die mittlerweile in Frankfurt lebt. Ein Lebensabschnitt, der neue Schmerzen hervorbringt. Denn der neue Freund der Mutter ist auch Alkoholiker, er schlägt Smilja und Alem. Und der Ziehvater Robert entpuppt sich als ein Holocaust-Leugner, der sich nie vom Nationalsozialismus abgewendet hat.
Wer bin ich, und wo gehöre ich hin?
In seinem Roman beschäftigt sich Alem Grabovac mit Herkunft, Identität, Heimat. Wer bin ich, und wo gehöre ich hin? Das sind Fragen und Antworten, mit denen sich wohl die meisten Gastarbeiterkinder auseinandersetzen und für die Grabovac seine eigenen Worte findet. Der Wunsch zum Ausstieg ist so mächtig, dass die Welt sich fügt: Alem studiert, wird ein glücklicher Vater und Journalist.
Die deutsche Gegenwartsliteratur hat erstaunliche Schriftsteller mit Migrationshintergrund hervorgebracht: Sasa Stanisic oder Fatma Aydemir – und jetzt Grabovac. Der Autor wurde 1974 in Würzburg geboren. Seine Mutter ist Kroatin, sein Vater Bosnier, er selbst wuchs in einer Pflegefamilie auf, sein Ziehvater war ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, ein Antisemit. «Als Kind war er für mich ein Held, ein tapferer Soldat, mein Vater», sagt Grabovac gegenüber dem kulturtipp. «Die Handlung des Romans spielt sehr nahe an meinem Leben, und das, was ich erfunden habe, bleibt mein Geheimnis.»
«Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen», sagte Max Frisch einst über die Gastarbeiter. Wer «Das achte Kind» liest, muss unweigerlich an dieses Zitat denken, das seine Gültigkeit bis heute nicht verloren hat. «Ich freue mich darauf, mein Leben durch die Augen meiner Leser noch einmal ganz anders erfahren zu dürfen», sagt Grabovac. Es ist ein Geschenk, dass er sich verletzlich macht und an seiner Geschichte teilhaben lässt.
Buch
Alem Grabovac
Das achte Kind
256 Seiten
(Hanserblau 2021)