Skandinavische Möbel im Retro- stil, hübsch arrangiertes Emaillegeschirr, Pflanzen als Farbtupfer. Die Begleitfotos von Online- An- zeigen für Kurzzeitvermietungen von Wohnungen, aber auch die Schnappschüsse auf Plattformen wie Instagram gaukeln oft eine Wohlfühlwelt vor, die nicht immer der Wirklichkeit entspricht.
Vincenzo Latronico blickt über die Ränder dieser perfekt inszenierten Bilder hinaus. In seinem vierten Roman «Die Perfektionen » entlarvt der italienische Autor mit messerscharfem Blick die auf Social Media millionenfach geteilten Lebensentwürfe einer ganzen Generation.
Jung, gut ausgebildet und rastlos
Anna und Tom, zwei junge Grafikdesigner, sind aus einer unbenannten südeuropäischen Stadt nach Berlin gezogen. Hier geniesst das Paar das Leben fernab der Heimat. Mit anderen Expats finden sie sich in einer «erfundenen Gemeinschaft» wieder, einem zerfransten Netzwerk aus flüchtigen Bekanntschaften, alle zwischen 23 und 30 Jahren alt, kaum jemand spricht Deutsch. Sie sind offen und neugierig, ziehen durch Nachtclubs, Bars und Kunstgalerien, tauschen sich beiläufig über die neuesten Cafés mit dem besten WLAN, den idealen Röstgrad von Kaffee, über Politik und Kunst aus.
Zerrieben zwischen der Realität und den Bildern, die ihnen täglich von diversen Displays entgegenflimmern, sehnen sie sich nach Einzigartigkeit, sind in ihren Ansichten aber dennoch konform. Beim fortlaufenden Versuch, die Realität an die makellosen, omnipräsenten Bilder anzupassen, findet das wahre Leben irgendwie immer woanders statt.
Ob bei der Arbeit, beim Sex oder auf Reisen: Anna und Tom suchen ständig nach einer noch besseren Option, dem perfekten Moment. «Sie wussten nicht genau, was sie sich erträumten, doch sie wussten, dass es ganz anders war als das, was sie hatten», beschreibt Vincenzo Latronico dieses Gefühl der Entfremdung von den eigenen Vorstellungen.
Berlin als Sehnsuchtsort
«Die Perfektionen» erinnert an Calla Henkels Debütroman «Ruhm für eine Nacht», in dem zwei Kunststudentinnen aus den USA die rauschhafte Energie der Stadt Ende der Nullerjahre in sich aufsaugen.
Auch der gebürtige Römer Latronico, der heute in Berlin lebt, macht die rasante Veränderung der Metropole und die zunehmende Vereinnahmung des Alltags ihrer rastlosen Bewohner durch Social Media deutlich. Detailreiche Beschreibungen und Aufzählungen, konkrete Ortsangaben und zeitliche Bezugspunkte verorten die Handlung im Jetzt. Auf Dialoge verzichtet Latronico komplett. Stattdessen nimmt er, genau wie die Leser, eine beobachtende Rolle ein. In einer prosaischen, aber präzise beschreibenden Sprache bringt er das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf den Punkt.
Buch
Vincenzo Latronico - Die Perfektionen
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
128 Seiten (Claassen 2023)