Roman: Aus der Zeit gefallen
Birgit Vanderbeke schöpft in ihrem neuen Roman «Alle, die vor uns da waren» Trost von Menschen der Vergangenheit – und entwirft ein düsteres Zukunftsbild.
Inhalt
Kulturtipp 17/2019
Letzte Aktualisierung:
05.08.2019
Babina Cathomen
Meer, Wiesen, Schafe, Ruinen: Viel mehr scheint die abgelegene Achill Island in Irland nicht zu bieten. Die Ich-Erzählerin, eine Autorin Ende 50, weilt hier mit ihrem Mann für ein paar Wochen im ehemaligen Ferienhaus des Schriftstellers Heinrich Böll. Am Ende der Welt fallen die beiden buchstäblich aus der Zeit – ohne Telefon und Internet, ohne Zeitungen, Fernsehen, Radio und sonstige Ablenkung besinnen sie sich auf sich selbst. Nebst der bisweilen skurrilen Suche na...
Meer, Wiesen, Schafe, Ruinen: Viel mehr scheint die abgelegene Achill Island in Irland nicht zu bieten. Die Ich-Erzählerin, eine Autorin Ende 50, weilt hier mit ihrem Mann für ein paar Wochen im ehemaligen Ferienhaus des Schriftstellers Heinrich Böll. Am Ende der Welt fallen die beiden buchstäblich aus der Zeit – ohne Telefon und Internet, ohne Zeitungen, Fernsehen, Radio und sonstige Ablenkung besinnen sie sich auf sich selbst. Nebst der bisweilen skurrilen Suche nach Nahrungsmitteln bleibt viel Zeit für Gespräche, Erinnerungen und Fantasie.
Und so schweift die Ich-Erzählerin oft in die Vergangenheit, lässt Bruchstücke aus der von Gewalt geprägten Kindheit auftauchen, erinnert sich aber auch an die Menschen, die ihr lieb waren: Ihre belgische Oma Maria etwa oder Schriftsteller wie Böll, die sie durch ihr politisches Engagement beeindruckten. In der Abgeschiedenheit werden die Verstorbenen in der Erinnerung lebendig, spenden Trost in einer Welt aus Umweltzerstörung, Krieg und apathischen Menschen im Bann des Internets.
Beobachtungen in der irischen Einöde
Birgit Vanderbeke entwirft in ihrem Roman eine düstere Gegenwartsdiagnose und Zukunftsprognose. Die wie in einem Refrain wiederholt erklingenden Formulierungen zum prekären Zustand der Welt verstärken den pessimistischen Grundton. Für kurzes Aufatmen sorgen amüsante Beobachtungen in der irischen Einöde. Freilich verweisen auch diese Anekdoten oft auf die Absurditäten des modernen Lebens – etwa, wenn die Spezialität Fish and Chips aus Pangasius aus Vietnam besteht, weil das leergefischte Meer rund um die irische Insel nichts mehr hergibt.
Die vielfach ausgezeichnete 63-jährige Autorin («Das Muschelessen») schliesst mit diesem Werk ihre autobiografische Romantrilogie ab, in der sie bruchstückhaft ihre Vergangenheit rekonstruiert. Sie siedelte als Kind mit ihrer Familie von der DDR nach Westdeutschland um und lebt heute in Südfrankreich. Vorwissen ist für die Lektüre des neusten Werks aber nicht nötig, die Themen sind brisant genug.
Buch
Birgit Vanderbeke
Alle, die vor uns da waren
176 Seiten
(Piper 2019)