Fernanda, Taita, Txupira, Rita, Carla … In ihrem Roman «Gestapelte Frauen» erzählt die in der Schweiz lebende brasilianische Autorin Patrícia Melo vom Schicksal dieser Frauen und beginnt mit der Geschichte einer Liebe zwischen Amir und der namenlosen Protagonistin, einer Anwältin. Die beiden sind ein Paar, bis Amir eines Nachts nach dem Besuch in einem Club mit krankhafter Eifersucht reagiert: Seine Freundin hat sich mit einem Mann unterhalten, freundschaftlich, harmlos. Amir allerdings sieht rot, lässt sich nicht beruhigen – und schlägt ihr ins Gesicht. Sie – als Kind traumatisiert vom gewaltsamen Tod ihrer Mutter und höchst sensibilisiert durch ihre Arbeit als Anwältin – entschuldigt das Verhalten ihres Freundes nicht und wirft ihn aus dem Haus. Sie weiss, dass sich dieses entschlossene Handeln fatal auswirken kann. Denn brasilianische Männer fühlen sich in ihrer Ehre oft herabgesetzt und reagieren nicht selten mit einem Racheakt, der tödlich enden kann.
Die Geschichten ähneln sich. Gewalt an Frauen gehört in Brasilien zum Alltag. Es gibt zwar mittlerweile Gesetze und Anlaufstellen, die Frauen vor Angriffen ihrer Ehemänner, Liebhaber oder Väter schützen. Die Zahl der Opfer aber ist noch immer erschreckend hoch. Allein im letzten Jahr wurde in Brasilien alle paar Stunden eine Frau von ihrem Partner getötet. Femizide werden diese Morde genannt.
Im Rausch zur gnadenlosen Rächerin
Patrícia Melo, 1962 in São Paulo geboren, hat sich in ihrem Heimatland Brasilien ab den 1990er-Jahren als Verfasserin von Drehbüchern und von Kriminalromanen einen Namen gemacht. Für ihre auf Deutsch erschienenen Bücher «O Matador» und «Trügerisches Licht» erhielt sie den Deutschen Krimipreis. In ihren Büchern berichtet sie schonungslos über Kriminalität und Gewalt in Brasiliens Grossstädten und hält sich dabei mit Sozialkritik nicht zurück. Auch im Roman «Gestapelte Frauen» legt sie gesellschaftliche Missstände auf den Tisch und konkretisiert diese mit zwischen den Kapiteln eingeflochtenen Polizeimeldungen von Todesfällen.
Die Autorin unterstreicht damit die Tatsache, wie begründet Ängste von verfolgten Frauen in Brasilien sind. Gleichzeitig treibt sie die Geschichte ihrer Protagonistin weiter. Diese wird als Anwältin von São Paulo ins Amazonasgebiet reisen, um dort von Prozessen gegen Männer zu berichten, die Frauen Gewalt angetan haben. Ein Fall erschüttert sie besonders: Es ist der Mord an Txupira, einem 14-jährigen indigenen Mädchen, das von drei Männern aus wohlhabenden Familien missbraucht und getötet wurde. Der Gerichtsprozess droht zur Farce zu werden. Deshalb nimmt die Protagonistin mit den Indigenen Kontakt auf, lässt sich auf ihre Rituale mit pflanzlichen Rauschmitteln ein. Und wird in ihren Fantasien zur gnadenlosen Rächerin.
Die Autorin erzählt ungeschönt und wütend
Der Roman endet so schonungslos ehrlich, wie er begonnen hat. Ungeschönt und wütend erzählt Patrícia Melo von Opfern und Tätern. Sie entwirft dabei aufwühlende, oft auch verstörende Bilder – als Aufschrei gegen die herrschende Ungerechtigkeit und Willkür in Brasilien. Deshalb sollte man das Buch lesen, auch wenn es keine leicht verdauliche Lektüre ist.
Buch
Patrícia Melo
Gestapelte Frauen
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
256 Seiten
(Unionsverlag 2021)