Pachinkos, Spielhallen mit Flipperautomaten, sind in Japan allgegenwärtig. Sie werden meist von koreanischen Einwanderern betrieben. Ein solches Pachinko besitzt auch der Grossvater der Ich-Erzählerin im Roman von Elisa Shua Dusapin. Ihre 30-jährige Protagonistin ist aus Genf zu Besuch bei ihren Grosseltern in Tokio. Sie plant mit ihnen eine Reise nach Korea, das die beiden 1952 auf der Flucht vor dem Krieg verlassen mussten. Ihre Heimat haben sie seit 50 Jahren nicht mehr gesehen, und dem Plan ihrer Enkelin stehen sie skeptisch gegenüber. Ein tieferes Gespräch zwischen den dreien entwickelt sich nicht, und die Erzählerin vertreibt sich die Zeit mit ihrem Ferienjob: der Betreuung der kleinen Mieko, der sie Französisch beibringen soll.
Die Figuren im Kurzroman «Die Pachinko-Kugeln» driften oft wie ebendiese Kugeln im Spielautomaten aneinander vor- bei. Passend ist auch das Eingangszitat des Philosophen Ro- land Barthes, der Pachinko als «kollektives und einsames Spiel» bezeichnet: «Jeder der Spieler (…) spielt für sich, ohne seinen Nachbarn anzusehen, mit dem er gleichwohl auf Tuchfühlung geht.»
Kommunikation mit übertriebenen Gesten
Diese «kollektive Einsamkeit» ist auch den Protagonisten in Shua Dusapins Roman eigen. Manchmal nähern sie sich einander an, meist befindet sich aber jeder auf seinem eigenen Planeten. Das liegt bei der Erzählerin und ihren Grosseltern teilweise an der Sprache: «Wir kommunizieren in einer Sprache aus einfachen Wörtern, englischen oder koreanischen, übertriebenen Gesten und Gesichtsverrenkungen. Auf Japanisch nie.»
Alle Figuren, inklusive der kleinen Mieko und ihrer Mutter, sind aber auch von einer unbestimmten Verlorenheit geprägt. Sie alle bewegen sich auf unsicherem Grund, scheinen nicht bei sich selbst angekommen zu sein.
Diese Verlorenheit beschreibt die 30-jährige Autorin in einer knappen, poetischen Sprache und in zuweilen skurrilen Momentaufnahmen, welche die Atmosphäre in der Fremde widerspiegeln. Etwa beim Besuch im Heidi-Dorf ausserhalb von Tokio, hinter dessen wackligen Häuserfassaden aus Gips das Nichts lauert.
Elisa Shua Dusapin, die im Jura lebt, ist selbst eine Kosmopolitin: Sie hat franko-koreanische Wurzeln und wuchs zwischen Paris, Seoul und Porrentruy auf. Ihr erster Roman «Ein Winter in Sokcho» handelt von der Identitätssuche einer jungen Frau in Südkorea. Dafür hat die Autorin, die in der Deutschschweiz noch weniger bekannt ist, unter anderem den National Book Award erhalten. Es lohnt sich, ihre schwebende Prosa näher kennenzulernen.
Buch
Elisa Shua Dusapin - Die Pachinko-Kugeln
Aus dem Franz. von Andreas Jandl
144 Seiten (Blumenbar 2022)