Die Geschichte der Kolonisierung Afrikas ist eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten: «Angefangen mit den Jesuiten ... bis hin zu den Engländern, den Franzosen und den Deutschen, die auch nicht besser waren.» Ganz zu schweigen von den Belgiern, die im Auftrag König Leopolds II. im Kongo Massenmorde begingen.
Das ist der Hintergrund, vor dem der auf historischen Tatsachen basierende Roman über den Afrikaforscher Vittorio Bottego (1860–1897) spielt. Der Italiener war mit seinen aufwendigen Expeditionen ausgezogen, um die Quellen der Flüsse Juba und Omo in den Berggebieten von Somalia und Äthiopien zu entdecken. Dafür bezahlte er mit seinem Leben.
Der Schreibstil ist knapp und ironisch
Der in der Schweiz viel zu wenig bekannte Italiener Gianfranco Calligarich hat einen knappen, ironischen Schreibstil, mit dem er jede Episode präzise auf den Punkt bringt. In seinem Roman setzt er einen fiktiven Erzähler ein: den Sekretär der Geographischen Gesellschaft in Rom, der Bottegos Abenteuer mehr als 30 Jahre später, also in der Zeit des Faschismus, nacherzählt.
Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, weshalb Bottego diese Reisen angesichts der Strapazen überhaupt unternommen hatte: «Die Karawane strebte in Gewaltmärschen unter der heissen afrikanischen Sonne vorwärts ... in das sogenannte Grab der Welt.»
Die Danakil-Senke gilt als der heisseste Ort der Welt: «Sie war eine unermessliche Wüste aus Sand, Felsen und giftigen Sträuchern.» Da lag es nahe, dass die einheimischen Träger immer wieder Fluchtversuche unternahmen. Scheiterten sie dabei, wurden sie erschossen.
Bottego und seine Mitstreiter wurden von Ureinwohnern und den äthiopischen Soldaten immer wieder überfallen. Zwar waren die Europäer mit ihren Schusswaffen den afrikanischen Kriegern überlegen, aber die schiere Anzahl von Überfällen liess die Invasoren ermatten.
Allerdings stiessen sie nicht überall auf Widerstand, denn die Stämme waren unter sich zerstritten und sahen in den Europäern zum Teil Befreier, die sie etwa von Menelik II., dem imperialen Kaiser von Äthiopien, erlösen sollten. Autor Calligarich zeichnet ein vielfältiges Bild der Italiener.
Da gibt es die menschenverachtenden Machtträger wie den König Umberto I., der die Expeditionen für seine Machtspiele missbrauchte. Mitfühlend sind dagegen einzelne Mitreisende, zum Beispiel ein Arzt, der sich um Europäer und Afrikaner gleichermassen kümmerte.
Feinfühliger Roman über Italiens Kolonialgeschichte
Gar klischeehaft führt Calligarich eine wilde Schöne ein, die als Bottegos Geliebte um das Wohl der Abenteurer besorgt ist. Sie findet natürlich den Tod mit dem Geliebten, indem sie ihn in seiner letzten Stunde zu retten versucht.
Bottego selbst wird zwar als rücksichtsloser, aber dennoch empfindsamer Charakter gezeichnet. So fällt er nach dem Erreichen seines ersten Ziels, dem Ursprung des Stroms Juba, in eine Depression.
Das Leben eines Entdeckers ohne Ziel ist Leere. Er macht sich deshalb ein zweites Mal nach Afrika auf – und findet sein Ende. Calligarich hat einen feinfühligen Roman über den italienischen Kolonialismus geschrieben. Er verleiht den historischen Persönlichkeiten ein Gesicht und macht die Epoche teilweise nach vollziehbar. Und er bringt dem Leser das Afrika der Vergangenheit etwas näher.
Gianfranco Calligarich
Wie ein wilder Gott
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
203 Seiten
(Zsolnay 2024)