kulturtipp: Rolando Villazón, letzten November twitterten Sie: «20 Jahre auf der Bühne! Auf in die nächsten 20 und mehr!» War das Ihr Ernst?
Rolando Villazón: Ja und nein. Es ist egal, wie lange meine Karriere noch dauert. Ich erlebte bislang 20 tolle Jahre. Und was jetzt kommt – 20 Jahre mehr? Fünf mehr? Das werden wir sehen.
Als ich 1995 mit dem Tenor Francisco Araiza über seine zu Ende gehende Karriere sprach, meinte er nüchtern: «Die Karriere eines Tenors dauert 20 bis 25 Jahre, meine dauert schon 27. So what?»
Ich glaube nicht, dass ein Tenor so und so lange auftreten muss – oder auftreten kann. Gerade sang ich in München die Uraufführung von «Southpol» des Tschechen Miroslav Srnka. Während der Komposition hat er entdeckt, dass man zwar Musik speziell für die Geige oder fürs Klavier schreibt. Aber man komponiert sie nicht für den Tenor, sondern für einen Menschen, der wie ein Tenor singt. Jeder von uns ist ein einmaliges Instrument – auch Araiza. Ich bin kein Tenor, sondern ein Mensch mit einer Tenorstimme! Man kann in guter Verfassung sein und sagen: «Jetzt reicht es.»
Zeichnen Araizas Worte nicht eine typische Tenor-Angst aus? Haben Tenöre mehr Versagensangst als andere Sänger?
Angst? Nein. Jeder Künstler denkt über die Zukunft nach, alle haben Fragen: Was soll ich singen? Was kann ich singen? Ich sage ihnen, da gibt es tolle Sopranistinnen, die klagen täglich ihr Leid, fragen sich: «Kann ich das noch mit 40 singen?» Da drängen junge Sängerinnen auf die Bühne, und peng, sind die 40-Jährigen weg, obwohl ihre Stimme sagt, dass sie im angestammten Fach bleiben müssten. Wagen diese Sängerinnen dann vielleicht ein Fachwechsel, schreit die Opernwelt auf: «Falsch!» Andere Sopranistinnen wiederum wollen Mutter sein und müssen das kombinieren.
Sie sind Vater.
Oh, ja! Meine Familie ist mir unheimlich wichtig: 150 Tage pro Jahr bin ich zu Hause – das ist ein Vertrag mit meiner Familie. Ich muss deswegen ganz viele Angebote ablehnen – vor allem in den USA. Wenn dann meine Kinder in fünf Jahren sagen: «Okay, Papa, wir brauchen dich hier nicht, du kannst nach Chicago gehen.» Dann ist das etwas anderes. Aber wo bin ich in fünf Jahren? Wusste ich 2004, wo ich fünf Jahre später sein würde, als ich in einem Sturm alle diese Debüts machte, nicht genug Auftritte kriegen konnte? Ich ahnte nichts davon, dass ich 2009 ein grosses Gesundheitsproblem haben würde.
Wir zwei sprachen im Jahre 2006 von dieser Zukunft, sie sagten mir: «Ja klar, ich singe bald Trovatore, dann Otello – fliege immer höher!»
Oh, das würde ich gerne nochmals lesen – es ist so bezeichnend! Diese beiden Rollen sind mir heute komplett fern. Ich habe kein Interesse daran und keine Möglichkeiten, sie zu singen.
Sie wechselten in den letzten Jahren teilweise das Repertoire, lernten neue Rollen …
… unglaublich, was ich jetzt als Scott in «Southpol», als Michel in Martinus «Juliette» und als Don Ottavio bei Mozart gefunden habe – eine neue Welt und eine grosse Herausforderung für die Stimme! Eine wunderbare Arbeit – dabei werde ich glücklich und nochmals jung. Ich werde wieder zum Studenten.
Warum ist es normal, dass viele grosse Opernsänger 300, ja 400 Mal dieselbe Rolle singen?
Es ist halt bequem. Die Leute haben Erwartungen, die ein Sänger ganz genau kennt: Da ein Pianissimo, da ein Ausbruch – und alle sind zufrieden Also denkt man sich: Los, das Ganze nochmals von vorne. Man weiss, wo man ist, was man kann.
Ein Bürojob.
Was ich mache, ist nicht der Wahrheit letzter Schluss. Es gibt Kollegen, die singen immer dasselbe, erreichen damit eine Perfektion – und sind glücklich. Das ist bewundernswert! Aber ich mag es nicht, wenn Sänger jammern: Ach, Gott, noch mal diese Partie, wäre es doch schon vorbei! Ich würde gerne etwas anderes machen.
Sagen Sie solchen Kollegen: Mach etwas anderes!
Bei jungen Sängern mache ich das. Aber bei einem älteren? Psychologisch gesehen ist ein solcher Einwand eine Aggression. Ich kritisiere ihn nicht, will ihn nicht ändern, sondern sage ihm etwas, an das ich glaube: Ich motiviere ihn.
Die Stimmung auf den grossen Bühnen scheint von aussen immer prächtig. Ist die Opernwelt eine falsche Welt?
Die sozialen Medien vermitteln dieses Bild. Facebook zeigt nur einen Teil der Welt, aber dieses Fenster ist gut, um von unserem schönen Dasein zu erzählen. Wir Opernstars müssen immer lächeln, da winken, hier Hände schütteln: Das ist nicht das Leben, schon klar. Aber deswegen muss ein Sänger auf Facebook oder in einem Interview nicht sagen, dass er eine Depression hat und sich überlegt, ob er eine Flasche Wein trinken und Antidepressiva schlucken soll.
Nein, das nicht. Aber all das gibt es ja unter Sängern – und keiner spricht davon.
Es gibt viel Stress in diesem Beruf. Einzelne Sänger vermissen etwas, andere denken vielleicht, dass es anders kommen sollte mit ihrer Karriere. Ich kenne erfolgreiche Kollegen, die mit ihrem Beruf nicht glücklich sind, weil sie immer auf die anderen schauen, darüber jammern, was sie nicht haben. Das ist schade.
Ist die Konkurrenzangst berechtigt?
Wer gut ist und aufsteigt, wird im mittleren Bereich keine Konkurrenz spüren, denn es gibt genügend Theater, die einen verpflichten. Ganz oben gibt es allerdings ein sehr grosses Konkurrenzdenken.
Das war früher auch so.
Ja, aber wir leben in einer anderen Welt. Schauen Sie mein altes Handy an, na ja, Ihres ist noch viel älter. Ich mag mein Handy, meine Frau aber sagt immer: «Kauf ein neues!» Ich brauche diese Büroklammer, um bei meiner Jacke den Reissverschluss hochzuziehen. Ich möchte sie aber am liebsten für die nächsten zehn Jahre behalten. Das passt nicht in diese Welt! Da gehts bum, bum, bum weiter! Und das geht auch mit Opernsängern so.
Mit Ihnen macht es Spass, zu sprechen, es gibt andere …
… aber kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Klischee der dummen Tenöre! Wer diesen Beruf auf der Bühne macht, ist hochintelligent.
Rolando Villazón
Der Tenor wurde 1972 in Mexiko-Stadt geboren. 1999 belegte Villazón den zweiten Platz in Plácido Domingos Operalia-Gesangswettbewerb, 2001 sang er in Bregenz, 2005 in Salzburg an der Seite von Anna Netrebko in «La Traviata» und wurde als der weltbeste Tenor gefeiert. Ab Mitte 2006 sagte er oft Auftritte ab, 2009 musste ihm eine Zyste an den Stimmbändern entfernt werden. Mitte März 2010 kehrte er auf die Bühne zurück und debütierte zwei Jahre später als Opernregisseur. Villazón ist verheiratet und hat zwei Söhne, mit denen er in Paris lebt.
CDs/DVD (Auswahl)
Treasures Of Bel Canto:
Mit Cecilia Bartoli
(DG 2015).
Puccini: La Boheme
2 CDs (DG 2008).
Verdi: La traviata
CD+DVD (DG 2005).
Roman
Rolando Villazón
«Kunststücke»
272 Seiten (Rowohlt 2014).
Konzert
Di 15.3., 19.30 KKL Luzern
Mozart «Il re pastore»
Les Arts Florissants
Leitung: William Christie
Infos & Tickets: www.lucernefestival.ch