Eigentlich sollte Roger de Weck jetzt auf Lesereise sein und sein Buch «Die Kraft der Demokratie» vorstellen. Doch weil auch bei ihm alle Termine ins Wasser gefallen sind, sitzt er in seiner Schreibklause im Unterengadin, denkt über sein nächstes Buch nach – und schaut auf unsere Zeit. Mit dem Abschied vom Amt des Generaldirektors der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft ist der heute 66-Jährige 2017 in eine neue Rolle geschlüpft. Was ihm, wie alle Wechsel in seinem Leben, nicht schwergefallen ist. «In meiner Muttersprache gibt es dazu eine schöne Redewendung», sagt der gebürtige Fribourger: «Tourner la page – eine Seite umblättern.»
Auf dieser neuen Seite steht vorderhand, wie bei allen, grossgeschrieben: Corona. Und Roger de Weck sticht ein Paradox ins Auge: Einerseits setzt man auf die moderne Wissenschaft und erwartet von ihr einen Impfstoff. Andererseits leben uralte Denkmuster auf. Der Kontinent besinnt sich nicht auf das Paneuropäische, sondern auf die Nation. «Halb Europa glaubt offenbar, zurzeit bedeute weniger Europa mehr Gesundheit», stellt er fest. «Natürlich ist es richtig gewesen, die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Aber warum spielen dabei die Landesgrenzen irgendeine Rolle?» Die Gesundheitsfrage sei verwandt mit der seit langem drängenden Klimafrage. In beiden müssten wir lernen, «transnational zu denken».
Da sieht mancher dann schon jene Demokratie weiter schwinden, die Roger de Weck in seinem Buch ja verteidigen will gegen die Reaktionäre: jene Politiker, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen und «sich darauf verstehen, sämtliche Unzufriedenheiten zu bewirtschaften – und aus der Politik Show zu machen. Ernsthafte Politik darf aber ruhig etwas langweilig sein.»
Doch de Weck liebt die direkte Demokratie, «wohl wissend um ihre Irrungen und Wirrungen. Sie ist die Staatsform, die nicht perfekt sein will, und das ist sehr menschlich.» Und er ist «voller Zuversicht, sofern wir die Demokratie modernisieren und aktionsfähiger machen». Denn sie wird bedrängt von zweierlei autoritären Kräften. «Auf der einen Seite die Reaktionäre: Sie setzen immer auf den starken Mann. Auf der anderen Seite der übermächtige Verbund von Big Data und Big Money.»
Gegen diese muss sich die liberale Demokratie behaupten. An Ideen dazu mangelt es nicht, Roger de Weck präsentiert und diskutiert sie im letzten Teil seines Buches. Seine Vorschläge reichen von der Schaffung eines Umweltgerichtshofs über eine mächtige europäische Digital-Behörde bis zur direkten Demokratie – aber nur teilweise nach Schweiz-Muster.
Roger de Weck ist, man spürt es in diesen Passagen, Optimist durch und durch – und hat sein Buch denn auch seinen Enkelkindern gewidmet.
Buch
Roger de Weck
Die Kraft der Demokratie. Eine Antwort auf die autoritären Reaktionäre
326 Seiten
(Suhrkamp 2020 )
Roger de Wecks Kulturtipps
Buch
Jan-Werner Müller: Furcht und Freiheit – für einen anderen Liberalismus (Suhrkamp 2019)
«Der Autor sucht nach neuer Glaubwürdigkeit für das Liberale. Bitte bestellen Sie dieses Buch bei Ihrer Buchhandlung. Die meisten schicken Bücher nach Hause und brauchen jetzt Ihre Solidarität.»
Podcast
NDR Info: Coronavirus-Update, mit Professor Christian Drosten
«Weitaus das Beste, was täglich über die Entwicklung zu hören ist, von dem besonnenen Spezialisten in Deutschland.»
Radio
SRF 2 Kultur
«Da man ja nicht zu viel streamen sollte, empfehle ich überzeugt SRF 2 Kultur – eines der besten Radioprogramme, nicht nur im deutschsprachigen Raum.»