Rodolfo von Wattenwyl - Blaublütiger Berner Gaucho
Ein junger Berner Patrizier suchte im 19. Jahrhundert sein Glück in Argentinien. Er scheiterte glorios – und wurde Politiker. Jetzt gibt eine Journalistin seine Briefe heraus; angereichert mit einer Liebesgeschichte.
Inhalt
Kulturtipp 15/2012
Rolf Hürzeler
Das tönt nach drohender Pleite. «Wir hatten keine Rinderpest, hingegen ist der Preis für das Vieh weiter gefallen. Das ist sicher eine Folge der Revolution im vorigen Jahr und des Preiseinbruchs in Europa.» Diese nüchternen Worte schrieb der Schweizer Auswanderer Rodolfo von Wattenwyl (1845–1914) seiner Schweizer Familie im Frühjahr 1876. Ein Jahr später kehrte er zurück auf Gut Schlingmoos im Berner Gürbetal.
Rodolfo von Watten...
Das tönt nach drohender Pleite. «Wir hatten keine Rinderpest, hingegen ist der Preis für das Vieh weiter gefallen. Das ist sicher eine Folge der Revolution im vorigen Jahr und des Preiseinbruchs in Europa.» Diese nüchternen Worte schrieb der Schweizer Auswanderer Rodolfo von Wattenwyl (1845–1914) seiner Schweizer Familie im Frühjahr 1876. Ein Jahr später kehrte er zurück auf Gut Schlingmoos im Berner Gürbetal.
Rodolfo von Wattenwyl hat seiner Mutter zwischen 1866 und 1876 regelmässig über das Leben in Argentinien berichtet. Auf 220 Briefseiten schrieb er in einer nüchternen, aber präzisen Sprache über die Entbehrungen und Rückschläge, die er als ehrgeiziger Kolonialist erlitt.
Die Thuner Journalistin Franziska Streun hat diese Briefe in «Rückkehr ohne Wiederkehr» ausgewertet. Streun hörte in der Kindheit Geschichten über Rodolfo von Wattenwyl. Ihr Ururgrossvater Gottlieb Künzi soll den Berner Patrizier einmal in der Pampa besucht haben. Die beiden hätten einen Indianerüberfall nur knapp überlebt, wie sie von ihrem Grossvater hörte. Sie seien auf Eisenbahnschienen gebunden worden und dem Tod nur knapp entkommen. Wahr oder nicht, Streun schildert diesen Überfall in fiktiven Tagebuchaufzeichnungen, die von Wattenwyl verfasst haben soll. Sie fügte solche Einträge den Briefen bei. Und reicherte sie mit einer etwas rührenden Liebesgeschichte an: Seine Jugendliebe aus bescheidenen Verhältnissen verzehrte sich zeitlebens nach dem Mann von höherem Stand bis zu seinem Tod. Rodolfo von Wattenwyl starb 1912 als angesehener «Bernburger», wie sich die Alt-Eingesessenen nennen. Und er politisierte während Jahren im Kantonsparlament.
Aufbruch zu Neuem
Im Frühjahr 1866 brach der 21-jährige Rodolfo von Wattenwyl nach Südamerika auf. Er war der Sohn eines Pfarrers und der gebürtigen Irin Anna Maria O’Gorman-Munckhouse. Seine Familie lebte einen frömmlerischen Pietismus, wie er im 19. Jahrhundert weitverbreitet war. Gut möglich, dass der junge von Wattenwyl diesem stickigen Klima entfliehen wollte. Jedenfalls war seine Reise nach Übersee damals nicht aussergewöhnlich. Tausende Schweizerinnen und Schweizer suchten ihr Glück in der Neuen Welt, um zu Wohlstand zu kommen.
Rodolfo von Wattenwyl berichtet von seinem Gut Los Alfonsitos in der Provinz Cordoba, wie er Vieh züchtet und Mais pflanzt. Er amtet als Friedensrichter und zieht gerne auf die Jagd, um Pumas nachzustellen. Der Auswanderer verkehrt am liebsten im britischen Emigranten-Milieu und hegt Misstrauen gegenüber der Urbevölkerung, was in seinen Befürchtungen zum Ausdruck kommt. Tatsächlich erlebte von Wattenwyl abgesehen vom Eisenbahn-Abenteuer immer wieder Konfrontationen mit den Ureinwohnern: «Die Plünderung dauerte keine zwanzig Minuten, und während dieser Zeit konnten wir sie im Detail beobachten. Ihre Haut war gelb-schwärzlich. Sie waren schrecklich vernachlässigt …», schreibt er von einem Überfall ein Jahr nach seiner Ankunft. Das Erlebnis endet für von Wattenwyl unerfreulich: «Die Indios liessen mir einzig vier Paar Hosen.»
Ähnlich wie Eveline Hasler oder Lukas Hartmann vermischt Streun mit den fiktiven Tagebuchaufzeichnungen Geschichte und Erzählung, allerdings weniger überzeugend. Das schadet der Lektüre indes nicht; die Briefe von Rodolfo von Wattenwyl sind stark genug. Bis zum bitteren Ende, als er wegen einer akuten Wirtschaftskrise in die Heimat zurückkehrt, wo ihn immerhin ein behagliches Patrizierheim erwartete.
[Buch]
Franziska Streun
«Rückkehr ohne Wiederkehr»
312 Seiten
(Zytglogge 2012).
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