«Heute haben wir keine Band mehr, aber zwei Kinder.» So ernüchtert klingt es zu Beginn im Film «I’ll Remember You». Fabian Chiquet und Victor Moser, die einstigen Mitglieder der Popband The bianca Story, scheinen vorerst ausgerockt zu haben. Deshalb haben sie sich die Frage gestellt: Wie wird man als Musiker alt? Sie machen sich auf den Weg, jene zu fragen, die es wissen müssen, und besuchen Schweizer Rockgrössen der 50er- bis 70er-Jahre.
In der ersten Folge der sechsteiligen Webserie, die unter anderem auf Play Suisse zu sehen ist, klopfen die beiden bei Küre Güdel an, dem einstigen Schlagzeuger der 1971 von Hanery Amman und Polo Hofer gegründeten Band Rumpelstilz. Es regnet in Strömen, und Güdel sagt, es gehe ihm «scheisse». «Ich bin bald 100, und alles hängt in der Luft», klönt er. Bald sitzt er aber am Klavier und gibt den beiden Gästen sichtlich aufgetaut Lebensweisheiten mit auf den Weg. Ums Geschichtenerzählen sei es ihm zeitlebens gegangen.
«Alles hängt in der Luft» als bluesiger Track
Zahlreiche Geschichten erzählen auch Chiquet und Moser in «I’ll Remember You». Es ist kein einfaches Unterfangen, bis die Seniorinnen und Senioren alle gemeinsam auf der Bühne des legendären Basler Clubs Atlantis zusammen abrocken. Die Coronazeit erschwerte das Proben mit den Risikopatienten, Einzelne mussten immer wieder zum Mitmachen überredet werden. Doch am Ende entfachen sie im Konzert ein Feuerwerk an Emotionen. Die in Mundart verfassten Songs basieren auf Aussagen der Mitwirkenden. Küre Güdels «Alles hängt in der Luft» etwa ist zum bluesigen Track geworden.
So ist aus dem vielschichtigen Projekt «I’ll Remember You» nebst der Dokserie und einer kürzeren Filmversion auch ein Soundtrack mit zwölf neuen Songs entstanden. Dazu kommt ein Podcast, in dem die Filmemacher mit einzelnen Protagonisten ein vertieftes Gespräch führen. In der ersten Folge sprechen sie etwa mit Hardy Hepp und Schöre Müller («Louenesee») über ihren Umgang mit Erfolgen und Krisen als Musiker.
Familie und Kunst unter einen Hut bringen
Chiquet und Moser sind 38 Jahre alt und kennen sich seit ihrer Kindheit. «Wir sind in Baselland in der gleichen Siedlung aufgewachsen», sagen sie im Gespräch mit dem kulturtipp. Mit ihrer 2005 gegründeten Band The bianca Story tourten sie durch ganz Europa. Irgendwann fühlten sich die beiden Familienväter aber ausgebrannt, ausserdem liessen sich die einzelnen Bandmitglieder in unterschiedlichen Städten nieder. «Unsere Band existiert noch, aber sie befindet sich momentan im Gefrierschrank», sagt Chiquet. Beide haben an der Zürcher Hochschule der Künste studiert: Chiquet Kunst und Moser Schauspiel. Die Protagonisten ihres Projekts lernten die beiden nach und nach kennen. Der Jazzer und Experimentalmusiker Bruno Spoerri etwa hat ihnen weitere Kontakte vermittelt und viele Türen geöffnet.
Ganze vier Jahre lang begleiteten die Filmer die Urgesteine der Schweizer Rockgeschichte. Dabei ging es ihnen weder um das Dokumentieren von Musikgeschichte noch um Nostalgie. In den Fokus stellen sie vielmehr die Neugierde, Wachheit und das Talent der Rockerinnen und Rocker im Hier und Jetzt.
Drummer bleiben für immer Drummer, starke Frauen für immer stark – wenn auch stark in der Minderheit. Was heute nach wie vor schwer zu bewältigen ist, war früher, insbesondere für Frauen, noch schwerer: Familie und Kunst unter einen Hut bringen. Die Jodlerin Christine Lauterburg etwa erinnert sich im Film, wie sie ihre Tochter «im Huttli» mitnahm zu Konzerten. Wie ein Leitmotiv zieht sich ein Credo durch den Film: Man kann nicht einfach aufhören, Künstler oder Künstlerin zu sein.
«D Sanduhr rünnt, s blybt nüm viel Zyt»
Der Bassist Sam Jungen blüht durch das Projekt regelrecht auf. Es sei ein Trip, den er da gerade erlebe. Düde Dürst, Drummer bei der legendären Band Les Sauterelles und später bei Krokodil, hat keinen Bock auf Alter und steht dem Projekt erst skeptisch gegenüber. Geil und lustig wolle er es haben. Klönen über sein Alter? Nein, danke. Nur mit viel Charme holen Chiquet und Moser den Drummer dann doch noch ins Boot. Im Film sagt er schliesslich, das Menschliche habe gestimmt: «alles liebi Sieche.»
Beim Texten der Songs ist Tinu Heiniger – er brachte den Jazz ins Emmental – eine grosse Hilfe. «Einen Song zusammen machen?», fragt er am Anfang ungläubig. «Das kann ich mir fast nicht vorstellen.» Und er gibt kritisches Feedback. Die Poesie komme etwas holterdiepolter daher. Gemeinsam brüten schliesslich Chiquet, Moser und Heiniger über den Texten. Das Thema Familie, das die jungen Väter gerade stark beschäftigt, wird oft angesprochen. Der Saxofonist Bruno Spoerri etwa musste drei Kinder mit seiner Musik ernähren. Ein Seiltanz sei es, Familie und Musik zu vereinen.
Auch der Tod wird in der Serie und im Konzert nicht ausgespart. «D Sanduhr rünnt, s blybt nüm viel Zyt» lautet eine Songzeile. Auf das Unausweichliche angesprochen, sagt Valerie Claus, die einstige Gitarristin bei den Honolulu-Girls: «Ich möchte spielen, bis ich umfalle.» Christine Lauterburg sieht es ähnlich. Weitermachen, bis «s Toteglöggli mit em Jödeli sech überbländet».
I’ll Remember You
Webserie
Ab Mi, 15.11.
Play Suisse, Youtube SRF 3, SRF Player
Kino
Premiere in Anwesenheit der Filmprotagonisten:
Mo, 13.11., 18.30
kult.kino Atelier Basel
Ab Do, 16.11., im regulären Kinoprogramm
TV-Version: Sternstunde Musik
So, 19.11., 12.00 SRF 1
Podcast
Ab Mi, 15.11.
SRF Podcast, Spotify
und gängige Podcastportale
Soundtrack
Ab Mo, 13.11.
Spotify, Apple Music und andere Audio-Streamingdienste