Robert Ruckstuhl - «Radio muss mehr sein als eine nette Begleitung»
Die Musikprofile der DRS-Radiosender sind in Bewegung geraten. Dies führt bei der Titelauswahl zu Überschneidungen. Robert Ruckstuhl, Programmleiter Radio bei SRF, erklärt die Hintergründe.
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Kulturtipp 13/2012
Frank von Niederhäusern
kulturtipp: Ich bin 50 und höre DRS 3. Laut Publikumsprofil darf ich das gar nicht.
Robert Ruckstuhl: Streng genommen zählen Sie nicht mehr zum Kernpublikum von DRS 3, das Leute bis 45 ansprechen soll.
Ich hätte also längst zu DRS 1 wechseln sollen?
Das darf man nicht so eng sehen. Es gibt ältere DRS-3-Hörende, wie es auch ein junges DRS-1-Publikum gibt. Das Alter ist nur ein Kriterium. Genauso wichtig sind Sinusmilieus&thin...
kulturtipp: Ich bin 50 und höre DRS 3. Laut Publikumsprofil darf ich das gar nicht.
Robert Ruckstuhl: Streng genommen zählen Sie nicht mehr zum Kernpublikum von DRS 3, das Leute bis 45 ansprechen soll.
Ich hätte also längst zu DRS 1 wechseln sollen?
Das darf man nicht so eng sehen. Es gibt ältere DRS-3-Hörende, wie es auch ein junges DRS-1-Publikum gibt. Das Alter ist nur ein Kriterium. Genauso wichtig sind Sinusmilieus …
Wie bitte?
Sinusmilieus teilen die Bevölkerung in verschiedene Lebensarten oder -gewohnheiten ein. Damit lassen sich Radioprogramme gewissen Hörertypen zuordnen.
Konkret?
DRS 3 spricht eher Menschen mit vorwärtsgewandtem Lebensentwurf an. DRS 1 ist stärker in traditionellen Milieus verankert.
Weshalb laufen denn auf DRS 3 und DRS 1 zuweilen die gleichen Musikstücke?
Die Überschneidungen machen weniger als fünf Prozent aus.
Aber es gibt sie!
Ja.
Warum?
Wir wollen keine Lücken entstehen lassen zwischen DRS 1 und DRS 3.
Kürzlich hörte ich die Berner Rapperin Steff La Cheffe auf DRS 1. Ein Missgriff?
Ich bin überzeugt, dass junge Musik aus der Schweiz auch DRS-1-Hörende interessiert. Der Titel war daher auch redaktionell eingeordnet.
Der traditionelle DRS-1-Hörer fühlt sich aber ausgeschlossen.
Wir spielen Steff La Cheffe ja nicht täglich auf DRS 1. Und läuft mal ein solcher Titel, vertreibt er das Stammpublikum nicht. Mit DRS Musikwelle bieten wir zudem ein 24-StundenProgramm mit volkstümlicher Musik, Schlagern, Blasmusik …
… das aber nur über DAB und Internet empfangbar ist.
Und über Satellit oder Kabel.
Die Verbannung aus der Luft 2008 hat beim Publikum für Aufruhr gesorgt.
Ich erinnere mich.
Sogar die Volksmusikverbände hatten sich eingeschaltet.
Heute sind die Verbände zufrieden mit dem Programm der Musikwelle, wie ich kürzlich an einem Treffen feststellen konnte.
Und das Publikum?
Das Musikwelle-Publikum ist stetig am Wachsen. Auch über DAB.
Im Beatles-Jahr präsentieren die DRS-3-Redaktoren Matthias Erb und Christoph Alispach allmorgendlich einen Beatles-Song – wieso auf DRS 1?
Seit gut einem Jahr gibt es die Fachredaktion Musik, die für alle Sender Musikthemen aufbereitet.
Ist das unter «Konvergenz» zu verstehen, der engeren Zusammenarbeit innerhalb der SRG?
Die gemeinsame Fachredaktion für Radio, Fernsehen und Internet ist eine Folge der Neuorganisation als SRF. Dies hat den Vorteil, dass wir DRS 1 und DRS 3 musikalisch einfacher abgrenzen können. Die Beatles-Songs sollen zudem eingebettet in ihrer damaligen Zeit erklingen, was eher zum DRS-1-Publikum passt.
DRS 1 ist also zum Oldiesender geworden?
Tendenziell laufen auf DRS 1 wohl ältere Titel als auf DRS 3, aber das war schon immer so.
Ersetzt die trimediale Fachredaktion die senderspezifischen Musikredaktionen?
Sagen wir: Alle Musikredaktorinnen und -redaktoren arbeiten nun zusammen.
Und das macht Sinn?
Durchaus. Wir planen zum Beispiel, auf DRS 1 mehr Chansons zu spielen. Den Experten hierfür haben wir in Urs Musfeld gefunden, einem DRS-3-Mann. Das vorhandene Know-how soll für alle Sender nutzbar gemacht werden.
Auch für Virus?
Ja. Einzig die Musikwelle arbeitet noch separat.
Die Konkurrenz der Privatradios wächst zusehends. Müsste man dieser nicht mit einem starken Musikradio, also einer Fusion von DRS 1 und 3 sowie
Virus begegnen?
Dies würde einen fast nicht zu bewältigenden musikalischen Spagat bedeuten, der sehr beliebig ausfallen würde.
Aber DRS verliert stetig Hörer. Was tun Sie dagegen?
Das stimmt so nicht. Alle DRS-Sender zusammen halten seit Jahren einen relativ stabilen Marktanteil von über 60 Prozent. DRS 3 ist gewachsen und liegt heute stabil bei 18 Prozent. Die DRS-1-Zahlen sind rückläufig, was aber mit der Abwanderung zur Musikwelle zu tun hat. Dennoch gehen wir bei DRS 1 über die Bücher.
Was steht an?
Nach unseren Analysen werden auf DRS 1 zu wenige Chansons, Canzoni und Popschlager gespielt. DRS 1 soll breiter werden, zugleich aber auch einzigartiger.
Eine kaum zu lösende Aufgabe!
Stimmt, eine schwierige Aufgabe, aber DRS 1 ist der einzige Sender, wo eine solche Varianz möglich ist und Sinn macht.
Auch DRS 3, einst der «amtlich bewilligte Störsender», ist musikalisch sehr in die Breite gegangen. Wann wird abgespeckt?
Gerade diese Breite unterscheidet uns von den Privaten. Es wäre falsch, DRS 3 wieder enger zu fassen. Das DRS-3-Musikprogramm wird wöchentlich um mindestens zehn Titel erneuert.
Die ganz junge Musik ist auf Virus zu hören. Aber 0,1 Prozent Marktanteil lassen den Schluss zu, dass dies niemanden interessiert.
Diese Zahl ist nicht erfreulich, wobei die Streams messtechnisch noch immer nicht erfasst werden können. Dennoch: Mit Virus bedienen wir eine wichtige Minderheit.
Virus ist an mehreren TV-Sendungen beteiligt. Wäre es nicht publikumswirksamer, DRS 3 ans Fernsehen zu binden?
Wir wollen beim Thema Rock-Pop-Musik am Fernsehen Neues ausprobieren, und in diesem Zusammenhang ist DRS Virus als eigentliches Labor prädestiniert.
Wann ist Neues zu erwarten?
Ab diesem Sommer werden wir laufend Änderungen vornehmen.
Was wird sich ändern?
Die Kunst des Radiomachens besteht darin, den Hörenden verlässliche Strukturen zu geben, sie aber auch immer wieder zu überraschen, zu stören. Radio muss mehr sein als eine nette Begleitung.
Ein Störsender eben …?
Ab und zu stören wir nach wie vor sehr gerne.
Robert Ruckstuhl
Robert Ruckstuhl ist Programmleiter Radio bei SRF. Er verantwortet die Programme DRS 1, DRS 3, DRS Musikwelle und DRS Virus sowie die Fachredaktion Rock/Pop. Zuvor war er Programmleiter DRS 3 und Virus. Ruckstuhl (49) arbeitet seit 2000 bei Radio DRS.