Das Kunsthaus Zürich verspricht neue Perspektiven. Spätestens mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus von David Chipperfield Ende 2021 sollen auch die beiden «Altbauten» neu eingerichtet sein. Wer nicht so lange warten will und bereit ist, die labyrinthischen Räume der Sammlung auf neuen Wegen zu erkunden, kann dies mit Hilfe von #letsmuseeum tun. Diese Privatinitiative verspricht die «ungewöhnlichsten Touren» durch Sammlungen in der Schweiz. Im Angebot stehen Führungen im Museum Tinguely in Basel, im Kunstmuseum Winterthur, durch das Zoologische Museum der Universität Zürich, die Freilichtanlage von Augusta Raurica und die Sammlung im Kunsthaus Zürich. Die jungen Guides haben garantiert kein Kunstgeschichte-Studium absolviert, erzählen aber unterhaltsame Geschichten.
Der kulturtipp geht aufs Ganze und entscheidet sich für das Programm «Womanizing» im Kunsthaus Zürich, und dies – wenn schon – in englischer Sprache. Sina Früh, Anglistin und Filmwissenschafterin, begrüsst eine zwölfköpfige Gruppe und bringt ihr Programm gleich auf den Punkt: «Im Kunsthaus finden sich rund 1300 Werke grosser Denker, Poeten, Rebellen. Die 72 von Frauen aber muss man suchen.» Gestochenen Schrittes gehts dann zu den alten Meistern, wo Frauen zumindest auf den Leinwänden en masse zu bewundern sind, und dies meist barbusig. «See this Nipple-Happening!», grinst Sina Früh und eilt zum Monumentalgemälde «Der Tag» von Ferdinand Hodler. Der gefeierte Schweizer sei fasziniert gewesen von Frauen- und Männerkörpern, habe diese aber meist ohne Behaarung gemalt.
Fremde Urheberschaft bei der Rodin-Plastik
Einige Räume weiter überrascht die Laien-Führerin erneut. Bei einer mannshohen Rodin-Plastik solle man Hände und Füsse mit dem Körper vergleichen. Tatsächlich verweist deren weit filigranere Gestaltung auf fremde Urheberschaft. Jene von Camille Claudel, verrät Früh und erklärt die Hintergründe.
Die Surrealisten als «boy’s club»
Auf ihre Führungen bereite sie sich intensiv vor, verrät die flinke Begleiterin. Ihre Tour basiere auf der deutschsprachigen Variante ihrer Kollegin. Sie habe aber eigene Ideen eingebaut: «Wir sind weitgehend frei in der Gestaltung unserer Touren.» So verteilt sie Abbildungen von Alberto Giacomettis abstrakter Plastik «Femme» mit dem Auftrag, diese zu erkennbaren Frauenfiguren umzugestalten. Die zwölf Gäste gehen freudig ans Werk und erläutern dann ihre «femmes». Mit einer packenden Hintergrundgeschichte zu Kees van Dongens «Amies» bringt Sina Früh die Gruppe zum Staunen. Dann lacht sie und sagt: «Alles erfunden!» Nun sollen es ihr alle gleichtun und Geschichten zu Bildpaaren erfinden. Die Gruppendynamik erntet amüsierte, teils irritierte Blicke anderer Museumsbesucher.
Auf zu den Surrealisten – laut der rasanten Frontfrau ein «boy’s club», in den sich wenige Frauen eingemischt hätten, etwa die Schweizerinnen Meret Oppenheim und Sophie Taeuber-Arp. «Art doesn’t have a Gender» – Kunst hat kein Geschlecht –, ist Sina Früh persönlich überzeugt. In einer Nische zückt sie ihr Tablet, aus dem sie zuvor Vergleichsbilder und Informationen zauberte. Zum Abschluss gibts einen Ausschnitt aus Pipilotti Rists Kultvideo «Pickelporno».
Die Reaktionen der Gruppe bringen eine Überraschung zutage: Nur eine Frau ist Englisch sprechend. Die anderen sind aus Neugierde erschienen, des passenden Termins wegen oder – wie jene Dame, die sich als Mitarbeiterin des Kunsthaus-Kuratoriums outet – aus Interesse. Die «Womanizing»-Tour befindet sie als gelungen. «Dies wohlgemerkt in Ergänzung zu unseren eigenen Führungen.» Womit sie die Grundidee von #letsmuseeum auf den Punkt bringt. Auch andere Touren wie «Tinguely-Trip», «Life Happens» oder «Animal Night Farm» sollen neue Perspektiven eröffnen.
Informationen
www.letsmuseeum.com
5 Fragen an Rea Eggli, Gründerin #letsmuseeum
«Wir bieten Leidenschaft statt Fachwissen»
kulturtipp: Wie kam es zur Idee von #letsmuseeum?
Rea Eggli: Schon lange wünschte ich mir Museumstouren, die mich selber ansprechen. Inspiriert hat mich die Museum Hack Initiative in New York, die das Format der Museumstouren als Erste neu interpretierte. Die Adaption für die Schweiz war eine grosse Herausforderung.
Weil Museen von Ihren Kooperations-Anfragen nichts wissen wollten?
Sie reagierten anfangs tatsächlich zögerlich. Einige stiegen auf das Abenteuer ein, andere verweigerten es. In den letzten Monaten spüren wir jedoch ein zunehmendes Interesse von sehr unterschiedlichen Häusern. Für 2020 planen wir auch Touren durch private oder öffentliche Sammlungen, die nicht an ein Museum gekoppelt sind.
Ihre «Guides» sind keine Kunstexperten: Was müssen sie denn können?
Sie müssen eine Leidenschaft für Kultur zeigen. Wir suchen keine Fachexperten, sondern gute Storyteller und Performer. Gerne auch Menschen, die Mut zu Neuem mitbringen und sich mit ihrer persönlichen Art und Weise einbringen wollen.
Auf Ihrer Website ist zu lesen, dass man sich mit Ihren Führungen durch Museen «scrollt». Wie meinen Sie das?
Es kann passieren, dass es während unserer Touren Querverweise zu Social-Media-Themen gibt. Zudem ist das Smartphone unabdingbar Teil unserer Touren, weil wir uns immer auch auf die Suche machen nach etwas, das gefunden, festgehalten, abgebildet werden muss.
Welches ist Ihr Zielpublikum?
Menschen jeglichen Alters, die das Bedürfnis haben, ein Museum mal anders zu erleben. Die unterhaltsame und inspirierende Geschichten hören wollen. Vermehrt gibt es auch Gruppentouren. So wird #letsmuseeum etwa für eine Mitarbeiter-Feier, einen Vereinsausflug oder eine Junggesellinnen-Party mit Niveau ausgewählt.
Weitere Angebote
Auch Museen bieten stets häufiger Spezialführungen an. Oft werden solche im Rahmen von Museumsnächten und ähnlichen Sonderanlässen veranstaltet. Im Normalangebot finden sich vielerorts Familien- und Kinderführungen.
Vier Beispiele besonderer Angebote:
Museum Tinguely Basel: Literarische Führungen zur aktuellen Ausstellung «Rebecca Horn» sowie Sonntagsführungen in Gebärdensprache.
www.tinguely.ch
Fotomuseum Winterthur ZH: Künstlerführungen.
www.fotomuseum.ch
Bernisches Historisches Museum: Menschen mit Fluchthintergrund führen durch die Dauerausstellung.
www.bhm.ch/multaka
Sammlung Rosengart Luzern: Kinder führen Kinder.
www.rosengart.ch