Ländlicher gehts kaum, vielfältiger auch nicht. Der Biobauernhof Schüpfenried im bernischen Uettligen verfügt über knapp 20 Hektare Ackerland und fasst gegen 1000 Nutztiere. Es gibt einen Hofladen, Ausstellungsräume für Kunst, Gärtnereien, ein Meditationszentrum sowie in der kühleren Jahreszeit eine öffentliche Sauna.
Auf die Beine gestellt hat das alles der Schüpfenried-Bauer Fritz Sahli. Nach dem Brand und Abriss seines alten Hofs 2010 ist ihm eine erstaunliche Renaissance geglückt. Als wir an einem Sonntagmorgen in den Freilaufstall seines Biohofs schauen, gackern da nicht nur Hühner zwischen Holzsitzbänken.
Seitlich hängen am offenen Gebäude lange schwarze Stoffbahnen runter, die von Kälbern interessiert beäugt werden, und vorne steht eine auf Holzpaletten gestellte Bühne, die man zwischen Leitern und Boxen voller Kabel und Kleber zunächst kaum als solche erkennt.
Sahli ist einer von gut 30 Deutschschweizer Bauern, die jedes Jahr zwischen Mai und September ihre Scheune, ihren Stall oder ihren Heuboden für das «Hof-Theater» zur Verfügung stellen. Das ist ein Wandertheater, das im Geist des 18. und 19. Jahrhunderts auf Tournee geht, freilich mit moderneren Stücken.
Wobei: Gerade das aktuelle Stück basiert auf einer Vorlage, die Alfred Hitchcock bereits 1935 zu seinem ersten grossen Filmerfolg verhalf: «The 39 Steps».
Für Knochenarbeit ist sich hier niemand zu schade
«Für einmal hat unser Stück nichts mit bäuerlichen Befindlichkeiten zu tun», sagt Gian Pietro Incondi, der zusammen mit seinem Sohn Cyrill Altwegg das «Hof-Theater» führt. Um die Tournee absolvieren zu können, müsse man auf jeden Fall ein breites Publikum ansprechen. «Schwänke sind allerdings nicht unser Ding.»
Am Vorabend hat das «Hof-Theater» noch in Wädenswil gespielt und danach – wie für ein Wandertheater üblich – die Bühne selber abgebaut. Erst um 2 Uhr seien sie zu Hause in Bern gewesen, sagt Incondi. In Uettligen beginnt der Bühnenaufbau um 9.30 Uhr. «Das ist schon nahrhaft», sagt der Mittsechziger, «aber das sind wir uns gewohnt».
Tatsächlich verströmt das sechsköpfige «Hof-Theater»-Team, das vom Aufbau über Technik, Kasse und Schauspiel alles selber macht, eine eingespielte Professionalität. Für Knochenarbeit ist sich hier niemand zu schade. «Ich muss wissen, wo der Nebel rauskommt», ruft Incondi unvermittelt in Richtung Bühne.
Sofort wird ein Rohr inspiziert. Später werden ein Sessel, eine fahrbare Holztüre und rote Vorhänge über die Bretter geschoben. Ein Huhn hat auf eine Bank geschissen.
Um 12 Uhr ist die Bühne bereit, und das Publikum trifft sich im grosszügigen Hofgarten zum Mittagessen, das – von Fritz Sahli organisiert – vor allem aus hauseigenen Würsten, Gemüse und Salaten besteht.
Eine vegetarische Alternative gibts auch. «Wir wohnen ganz in der Nähe von Uettligen, aber dieses kulinarisch-kulturelle Angebot kannten wir bislang nicht», sagt ein älteres Paar am Buffet. Im Hofladen deckt sich unterdessen eine junge Familie mit Süssmost und Glace ein.
Das Publikum sitzt dicht gedrängt im Heu
«Im Normalfall spielen wir unser Stück abends», sagt Incondi. Sahli sei einer der wenigen gewesen, die ein Mittagsprogramm gewünscht hätten. Dennoch sei es für dieses Stück wichtig, dass es möglichst dunkel sei. Darum die dunklen Stoffbahnen, die nun heruntergelassen werden. Kurz vor 14 Uhr wechseln die 130 Gäste vom Garten in den Stall.
Die Vorstellung ist längst ausverkauft, aber bis zur letzten Sekunde wuselt Incondi – nun bereits in einer Kammerzofen-Verkleidung – im Zuschauerraum herum. «Bitte immer vier Gäste pro Bänkli», ruft er, während Cyrill Altwegg zusätzliche Stühle reinträgt. Am Schluss sitzen einige sogar dicht gedrängt zuhinterst auf den Heuballen.
Oft mehr Komödie als Krimi
«Die 39 Stufen» erzählt von einem 37-jährigen Durchschnittsengländer (Jonas Furrer), der unvermittelt in eine Spionagegeschichte reingezogen und dann quer durch Grossbritannien gejagt wird.
Ein klassischer Hitchcock-Stoff. Ausser Hauptdarsteller Jonas Furrer spielen alle Teammitglieder mehrere Rollen, im Fall von Incondi sogar in verschiedenen Dialekten. Dabei nimmt man gerne auch den eigenen Minimalismus auf die Schippe, wenn die Figuren immer wieder durch dieselbe mobile Tür steigen, im fiktiven Zugsabteil durchgerüttelt werden oder wenn die Schauspieler ihre Figuren im Sekundentakt wechseln.
Rasant rustikaler Slapstick ist das, angereichert mit Gesangs- und Tanzeinlagen, oft mehr Komödie als Krimi. Das Publikum spendet reichlich Szenenapplaus. «Hat es Ihnen gefallen?» Fritz Sahli, der das «Hof-Theater» seit drei Jahren zu Gast hat, strahlt übers ganze Gesicht. Einen Begegnungsort zu schaffen, Stadt und Land zusammenzubringen, das sei von Anfang an sein Ziel gewesen.
«Und auch einige Zuschauer zum Wiederkommen auf unseren Hof zu animieren.» Das ist zweifellos geglückt – inklusive Muhen und Gegacker von nebenan.
Die 39 Stufen
Bis Sa, 16.9. | www.hof-theater.ch
So funktioniert das «Hof-Theater»
Das 2005 gegründete «Hof-Theater» zieht jedes Jahr mit einem neuen Stück durch etwa 30 Bauernhöfe in der Deutschschweiz. Die jeweiligen Bauernfamilien treten dabei als Gastgeber auf und bieten Speis und Trank aus vorwiegend eigener Produktion an.