Die Wiese vor dem Haus muss erst noch nachwachsen. Bis vor kurzem waren hier Baumaschinen am Werk, die Spuren hinterlassen haben. Mit entsprechend erdigen Schuhen steht der Besucher auf der Steintreppe und wird gebeten, Plastikfinken überzuziehen. Im kühlen Innern des stolz und zugleich charmant anmutenden Baus neben der berühmten St. Georgskirche von Ernen riecht es überraschend neutral. Nicht nach Bauschutt, Farbe oder Kunststoff, aber auch nicht muffig. Am ehesten nach altem, gut durchsonntem Holz.
Einst Jugendtreff und Galerie
Es würde nicht überraschen, wenn zur Begrüssung ein schwarz gewandeter Kirchenherr aus der russigen Küche träte. Ab dem Mittelalter lebten hier Dutzende von Kaplanen, die der Oberwalliser Grosspfarrei Ernen dienten. «Bis zu 15 Priester waren hier am Werk und entsprechend viele Pfarrhelfer», weiss Anton Clausen vom örtlichen Pfarreirat.
«1952 aber waren die letzten abgezogen worden oder weggestorben.» Während der folgenden 70 Jahre wurde die Kaplanei als Jugendtreff und Galerie genutzt, als Lagerraum und Übungsraum des bekannten Festivals Musikdorf Ernen. Dessen Intendant Francesco Walter ist auch Gemeindepräsident. Er spricht in beiden Funktionen, wenn er dem Besucher aus dem Unterland versichert:
«Wir freuen uns, dass Leben zurückkehrt in dieses Haus.» Denn diesen Sommer wird die Kaplanei – ein ortstypischer Mischbau aus Stein und Holz von 1776 – zum Ferienhaus, umgebaut und verwaltet von der Stiftung Ferien im Baudenkmal (siehe Box). Die Geschäftsführerin Christine Matthey tritt anstelle des fantasierten Kirchenherrn als strahlende neue Hausherrin aus der Stube. «Willkommen in unserem 50. Objekt», sagt sie und erzählt, wie die Stiftung das Haus in fünfjähriger Planungs- und Bauzeit fachgerecht saniert hat.
Da es zweckentfremdet worden war, war für die Architektin Diana Zenklusen aus Brig klar: «Es soll in den historischen Zustand zurückgebaut werden. Ein dynamischer Prozess, aber das waren wir dem Gebäude schuldig.»
Die Kapelle wird zum Lese- und Ruheraum
Dieser Ansatz zeigt sich beim Rundgang durch die drei Etagen in Details wie belassenen Kastenfenstern, Türen oder Deckenbalken, die oft nur fachgerecht gereinigt wurden, wie Zenklusen erklärt. Wände und Decken in Stube und Esszimmer leuchten in der ursprünglichen Farbe, die mittels Sondierungen eruiert wurde, einem Türkis, das Diana Zenklusen «Wäntelegrüen» nennt:
«Es war ein urspünglich arsenhaltiger Anstrich, der die Wanzen (Wäntele) vertreiben sollte.» In der Ecke steht die alte und neue Heizung in Form eines Giltsteinofens. Den Luxus einer modernen Ferienwohnung spürt man in der Küche, wobei ein neuer Herd am Ort der alten Feuerstelle eingesetzt wurde. «Nicht eingebaut», betont die Architektin.
Die Schlafkammern sind mit eigens entworfenen Möbeln aus lokalem Holz bestückt, der Putz der Aussenwände von lokalen Handwerkern und Denkmalpflegern entwickelt worden. Als Bijou in der Hausmitte findet sich die einstige Kapelle, die heute als Lese- und Ruheraum dient. Die Deckenmalereien stammen aus dem 18. Jahrhundert. Sie wurden lediglich freigelegt und gefestigt.
Die Ferienobjekte sind begehrt
Keine Frage: Die Sanierung der Kaplanei Ernen ist gelungen, das Haus ist auch von aussen eine Augenweide. Wer aber will in einem solchen Denkmal, dessen Räume spartanisch eingerichtet und dunkel sind, Ferien machen? Christine Matthey lacht: «Es sind meist Architekten oder kulturaffine Leute, aber auch Familien mit Kindern.
Neun Prozent der Mieterinnen und Mieter kommen aus dem Ausland.» Die Objekte der Stiftung sind begehrt. Matthey nennt die stolze Zahl von 76 Prozent Auslastung und begründet dies mit der meist attraktiven Umgebung. Im Fall Ernen lockt das Ortsbild von nationaler Bedeutung, das 1979 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet wurde. Seit 2015 setzt die Bevölkerung auf Wiederbelebung mittels kultureller Aktivitäten. Ernen ist zudem Teil des Landschaftsparks Binntal mit touristischen Angeboten.
Quartier für Mitwirkende des Musikdorfs Ernen
Die restaurierte Kaplanei soll Teil davon werden. Gemeindepräsident Walter ist sich sicher: «Sie wird zusätzliche Gäste nach Ernen bringen. Deshalb haben wir uns auch mit 60 000 Franken beteiligt. Ein grosser Batzen für eine Gemeinde mit 500 Einwohnern.» An den Umbaukosten von total 950000 Franken waren Kanton, Bund und Stiftungen beteiligt.
Der grösste Anteil von 450 000 Franken stammt von der Schweizer Berghilfe. «Wir unterstützen gern solche Projekte, die eine Wirtschaftlichkeit garantieren», erklärt Kommunikationschef Ivo Torelli. «Denn deren Wirkung ist eine soziale: Sie ermöglichen Menschen, in den Bergen zu bleiben und dort zu leben.» Die Pfarrei Ernen als Eigentümerin überlässt das Haus nun der Stiftung Ferien im Baudenkmal zur Nutzung für die nächsten 50 Jahre.
In den ersten sechs Wochen ist es bereits ausgebucht. Das Musikdorf Ernen wird Musikschaffende einquartieren. Bis dann wird sich auch die Wildblumenwiese erholt haben. «Und in der Ecke dort hinten», verrät Architektin Zenklusen, «wird eine Naschhecke mit Beerensträuchern stehen».
Kaplaneihaus Ernen
Ganzjährige Vermietung für bis zu 7 Personen: 1750 Franken / Woche