Selbst wenn man sie schrumpft, sind Eiger, Mönch und Jungfrau imposant. Bis fast unter die Decke der Miniaturwelt Smilestones ragen die drei Gipfel. Dass ihre Flanken bereits hinter dem Bahnhof Interlaken ansteigen, mag nicht ganz der Realität entsprechen.
Handkehrum: An Föhntagen scheint auch das echte Jungfraumassiv manchmal schon in Bern so nah, als könne man danach greifen. Und gilt für die Welt der Modelleisenbahnen nicht eh die Kunstfreiheit?
15 Minuten dauert ein Tag, 90 Sekunden die Nacht
Im Sig-Areal in Neuhausen am Rheinfall belegt die Miniaturwelt Smilestones seit 2018 eine der ehemaligen Industriebauten. 23'000 Figürchen bevölkern eine Landschaft von 250 Quadratmeter, Dutzende Züge befahren 1,3 Kilometer Gleise. Die Modellbahn im Massstab 1:87, Nenngrösse H0, zählt zu den grössten öffentlichen Anlagen der Schweiz.
Michaela Huser, eine von 34 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, führt an einem Freitagnachmittag durch die Miniaturwelt. Im Alpsteingebiet schlängelt sich ein Zug der Appenzeller Bahnen durch die Hügel. Über dem Sittertobel quert ein Regionalzug einen der beiden Viadukte. Im Bahnhof Schaffhausen hält ein Güterzug.
Die Geografie stimme nicht immer zu 100 Prozent, gibt Huser zu bedenken. Aber das muss sie auch nicht. Die Anlage ist ein liebevoll gestaltetes Wimmelbild aus Alpabzügen und Wochenmärkten, aus kurvenden Lieferwagen, schuftenden Bauarbeitern und Touristen, welche die schäumenden Wassermassen des Rheinfalls bestaunen.
Im Thurgauer Abschnitt drückt Michaela Huser auf einen Knopf am Geländer, das die Anlage umgibt. Zwei Velofahrer strampeln jetzt mit beeindruckender Kadenz um einen See.
Über 50 solcher Aktionsknöpfe gibt es an der Anlage, sowie Suchaufgaben für Kinder und jede Menge amüsante Szenen für Erwachsene. «Diese Details sind auch für jene Besucher ein Erlebnis, die uns nicht zwingend wegen der Modellzüge besuchen», sagt Michaela Huser. Wenig später beginnt es in Smilestones einzudunkeln.
15 Minuten dauert hier ein Tag, dann kehrt für eineinhalb Minuten Nacht ein. Überall funkeln jetzt Strassenlaternen und Personenzüge. Über Schaffhausen strahlen Mini-Scheinwerfer den Mini-Munot an. Ein Wahrzeichen auch in H0.
Auch Frauen erobern die Männerbastion
Die Schweiz besitzt eines der dichtesten Bahnnetze der Welt. Kein Wunder, gilt sie auch als wichtiger Absatzmarkt der Modellbahnbranche. Und eine Reihe öffentlicher Modell- und Parkbahnen zelebriert unsere Liebe zur Eisenbahn.
Dabei ist die Geschichte der Modellbahn fast so alt wie die der Eisenbahn selbst. Bereits in den 1820ern erscheinen die ersten Züge als Ausschneidebögen. Doch zum Massenhobby wird die Modelleisenbahn erst wirklich ab den 1950ern mit erschwinglichen Loks und Wagen aus der Massenproduktion.
Bis in die zweite Hälfte der 1990er boomt dieses Geschäft. Dann folgen düstere Jahre. Irgendwann liest man selbst klingende Firmennamen wie Roco und Märklin neben Insolvenzmeldungen.
Seit einigen Jahren «bähnlen» wieder mehr Menschen. Und zumindest im angelsächsischen Raum interessieren sich immer öfter auch Frauen für das Hobby, das bisher als Männerbastion galt.
Was die Faszination der Modelleisenbahn angeht, gibt es Erklärungen wie Schotter im Gleis- bett. Prominente Bähnler wie Rod Stewart oder Bruce Springsteen priesen schon die beruhigende Wirkung von kreisenden Zügen und vom Bau filigraner Berge und Bäume. Niemals sollte man die Nostalgie unterschätzen. Auf der eigenen Anlage wird keine Nebenstrecke aus Rentabilitätsgründen aufgegeben, keine Lieblingslok landet auf dem Alteisen.
Wöchentlich müssen die Züge zur Reinigung
Doch ganz ohne Leid und Gefahren ist auch die Welt in H0 nicht. Auf der Smilestones-Anlage ist ein Fahrer aus dem Feld der Tour de Suisse gestürzt. Ob Grindelwald birgt die Rega gerade einen verunglückten Alpinisten. Und manchmal entgleisen auch Züge.
Zum Glück selten, wie Leonard Reiner vom Technik-Team sagt. Er hat an diesem Tag Dienst in der Leitstelle. Die sieht nicht viel anders aus als bei denen, die im Massstab 1:1 «bähnlen ». Zehn Computerbildschirme zeigen Überwachungsbilder der Anlage, schematische Gleispläne und ein Verzeichnis der Zugkompositionen.
Knapp 60 Züge fahren heute auf den beiden Anlageteilen. Fahrdienstleiter Reiner erklärt, welche automatisierten Routen die Züge nehmen, in welchen Schattenbahnhöfen unter der Landschaft sie selbstständig Pausen einlegen. Dann lässt er den Cursor einen Gleisplan entlangwandern: «Zwei Züge habe ich jetzt aktiv hierhin fahren lassen, damit ich sie für ihre wöchentliche Reinigung rausnehmen kann.»
Er steht auf und geht zu einer Werkbank im Technikraum. Dort liegt ein Zug aus TEE-Panoramawagen. «Hier reinigen wir die Räder für eine gute Stromaufnahme und kontrollieren die Schmierung.»
Kaum ist Reiner zurück am Leitpult, ertönt ein kurzer, schriller Alarm. Der Blick des Fahrdienstleiters schweift über den Gleisplan. «Das war vermutlich eine Kreuzweiche im Bahnhof Schaffhausen – da lösen Züge bei der Durchfahrt öfters kleine Kurzschlüsse aus.»
Danach bleibt alles ruhig. Draussen, im Anlageteil Berner Oberland, geht wieder einmal ein Tag in H0 zu Ende. Ein ICE fährt durch die Dämmerung Richtung Interlaken. Die Abteile sind hell erleuchtet, im Res- taurantwagen haben sich zwei Figürchen an die Stehbar gestellt. Die immer gleiche Reise liegt vor ihnen. Wie oft haben sie die wohl schon gemacht? Die Zwei stossen dennoch drauf an. Manchmal ist es beneidenswert, dieses Leben in 1:87.
Smilestones
Neuhausen am Rheinfall SH
Mi–So, 11.00–17.30
www.smilestones.ch
Öffentliche Modell- und Parkbahnen
Chemin de fer du Kaeserberg Granges-Paccot FR, www.kaeserberg.ch
Erlebniswelt Toggenburg, Lichtensteig SG, www.erlebniswelttoggenburg.ch
Kleineisenbahn Gurten Bern, www.gurtenpark.ch
Swiss Vapeur Parc, Bouveret VS, Saisoneröffnung: Sa, 18.3., www.swissvapeur.ch
Dampfbahn Katzensee, Zürich, Saisonstart: Ende März, www.dampfbahn-katzensee.ch
Ysebähnli am Rhy, Pratteln BS, Saisonstart: So, 30.4., www.ysebaehnli-am-rhy.ch
Modelleisenbahn-Club Einsiedeln, Saisonstart: So, 7.5., www.mece.ch