kulturtipp: Sie haben Ihren Dialekt einmal als «nicht so schön» bezeichnet. Wieso schreiben Sie jetzt ein Buch in Dialekt?
Renato Kaiser: Früher sah ich keinen Grund, mit meinem St.-Galler-Deutsch auf die Bühne zu treten. Erst später bemerkte ich, dass es – sobald ich im Text drin bin – keine Rolle spielt, ob ich in Dialekt oder in Hochdeutsch performe und schreibe. Das Schreiben fällt mir in Dialekt unerwartet leicht. Es ist mir aber wichtig, dass man dabei nicht immer den eigenen Dialekt und die eigene Herkunft thematisiert.
Trotzdem dreht sich «Uufpassä, nöd aapassä!» vorwiegend um Dialekt und Herkunft.
Das stimmt, ich habe wohl den einfachsten Weg gewählt. Manuel Stahlberger singt beim «George Clooney vo Altstätte» in St.-Galler-Dialekt – ohne diesen zu thematisieren. Keiner denkt dabei als Erstes über
den «unschönen Dialekt» nach. Stahlberger darf das, ich auch.
Welche Schwierigkeiten gab es beim Schreiben auf St.-Galler-Deutsch?
Wir kennen im Alltag keine klaren Regeln, wie man in Dialekt zu schreiben hat. Fürs Buch
haben wir dann aufbauend auf der «Schweizerdeutschen Rechtschreibung» von Eugen Dieth eine Sprache entwickelt, die von Bernern wie von St. Gallern richtig ausgesprochen werden kann.
Sie stellen Berner und Ostschweizer als Gegenpole dar. Ist das Leben im selbst gewählten Exil so schlimm?
Natürlich nicht, ich fühlte mich wohl in der westlichen Schweiz. Ein doofes «Hopp Sangällä, fürä mitem Ballä» nervt mich nicht. Ich überlege mir nur, ob der Witzbold das lustig findet und glaubt, er habe diesen Spruch erfunden. Im Gegenzug witzle ich auch über jene Berner, die ihren Dialekt auf einen Thron stellen.
Sie beschreiben den St. Galler in Bern als Traditions- und Bratwurstfanatiker. Wieso?
Es wäre langweilig, wissenschaftlich zu untersuchen, wie Ostschweizer in Bern aufgenommen werden. Ich hoffe, niemand liest mein Buch und nimmt dabei nur mit, dass die St. Galler in Bern unten durch müssen. Für mich steht die Selbsthilfegruppe als Institution im Vordergrund – die masslos übertriebenen St.-Galler-Charaktere mit ihren Bratwürsten und ihrem Fankult für den FCSG sind lustige Elemente, welche die einzelnen Episoden zusammenhalten.
Also nur fiktive Charaktere, die weit weg sind von der Realität?
Diese radikalen St. Galler gibt es wirklich – wenn auch nur in kleiner Zahl. Für einige im Fanblock des FC St. Gallen ist es eine Freveltat, eine Bratwurst mit Senf zu essen. Wie kann diese Wurst so wichtig sein? Eine extreme Identifizierung mit der eigenen Herkunft gibt es überall. Ich wollte zeigen, wie eine kleine Minderheit in der Fremde überlebt – eigentlich habe ich ein Stück Fundamentalisten-Literatur geschrieben.
Renato Kaiser
Der 1985 geborene Autor und Poetry-Slammer Renato Kaiser ist in Goldach SG aufgewachsen. Heute lebt er in Fribourg, wo er für Geschichte und Germanistik immatrikuliert ist. Das Studium kommt aber wegen zahlreicher Auftritte als Spoken-Word-Artist und Teilnahmen an Poetry-Slam-Wettbewerben zu kurz. Dieses Jahr gewann Kaiser die Schweizer Meisterschaften im Poetry-Slam. Im November ist sein neues Buch «Uufpassä, nöd aapassä!» erschienen. Es handelt von den Erlebnissen eines St. Gallers in Bern und ist in Dialekt verfasst. Die beiliegende Audio-CD enthält vom Autor selber gesprochene Texte und Musik von Enrico Lenzin.
[Buch]
Renato Kaiser
«Uufpassä, nöd aapassä!»
74 Seiten
mit Hörbuch-CD
(Der gesunde Menschenversand 2012).
[/Buch]