Worüber Renato Kaiser lacht, verrät seine Kleidung. An einem verregneten Augusttag in Zürich ziert eine Zeichnung den Pullover des St. Galler Slam Poeten und Comedians: Ein nacktes Strichmännchen hüpft über eine Blumenwiese, darunter gekritzelt steht «Hate», «Hass». Das Werk stammt vom isländischen Cartoonisten Hugleikur Dagsson, bekannt für seinen Humor, der zwischen gesellschaftskritisch, surreal und rabenschwarz pendelt. «Dagsson ist für mich einer der kontroversesten, aber auch lustigsten Künstler», sagt Kaiser. «Ich empfehle ihn nicht bedingungslos – er ist hart an der Grenze.»
Als Slam Poet die Sporen abverdient
Mit den Grenzen der Komik beschäftigt sich Kaiser mehr denn je. Aktuell ist der 33-Jährige in der Sendung «Tabu» auf SRF 1 zu sehen. Darin verbringt er jeweils vier Tage mit Menschen, die von der Gesellschaft als Randgruppe wahrgenommen werden – Menschen mit körperlicher Behinderung oder unheilbarer Krankheit, Menschen aus der LGBTQ-Community, von Armut Betroffene. Was er dabei erlebt, verarbeitet er zu einem kurzen Comedyprogramm. In der ersten Sendung klang das so: «Weil Regula blind ist, war sie überrascht, als sie zum ersten Mal meinen Kopf anfasste. Und ich war froh, dass sie nur meine Glatze bemerkte und nicht, dass ich die ganze Zeit keine Hose anhatte.»
Renato Kaiser machte sich ab 2005 zunächst als Slam Poet und später als Comedian einen Namen. Einer breiten Masse ist er heute als Satiriker bekannt: mit der Sendung «Zytlupe» auf Radio SRF 1, mit Auftritten bei «Deville» oder als Korrespondent bei «Late Update». Vor allem als Slam Poet habe er viel gelernt, sagt Kaiser: «Man schreibt Texte, die eigentlich allen egal sind – so konnte ich lange rumprobieren.» Die Satire-Arbeit der letzten Jahre wiederum habe ihn auf «Tabu» vorbereitet.
Entstanden ist ein Format zwischen empathischer Gesellschaftsreportage und tabuloser Comedy. Letztere nimmt allerdings nur wenig Raum ein, im Zentrum stehen Doksequenzen, in denen die Protagonisten von ihrem Leben und ihren Alltagserfahrungen erzählen – und Renato Kaiser hochnehmen. Kaiser sieht «Tabu» als ernstzunehmenden Versuch der Inklusion: «Diese Menschen vom Humor auszuschliessen, wäre eine Form der Ausgrenzung.» Dabei sei vor allem er selbst gefordert: «Schreibe ich einen Witz, überlege ich mir so viel wie möglich – was ist lustig, was ist interessant, wo stehe ich als Privilegierter?» Bis anhin wurde die Sendung positiv aufgenommen. Möglichen negativen Reaktionen sieht Kaiser gelassen entgegen – gerade weil er sehr sorgfältig an seiner Komik arbeitet. «Meine Variante des Künstlertums ist etwas konservativ und kleingeistig», sagt er und lacht laut. Aber gute Comedians lachen über sich selber, sagt man doch.
Tabu (3/5)
So, 1.9., 21.40 SRF 1
1–2/5 sind abrufbar: www.srf.ch/play/tv } Sendungen } Tabu
Renato Kaisers Kulturtipps
Film
Die fruchtbaren Jahre sind vorbei
(Regie: Natascha Beller)
«Dieser Film ist lustig, schlau, abgedreht, herzlich, zudem lustvoll und stark gespielt. In jeder Hinsicht eine erfüllte Hoffnung fürs Schweizer Kino.»
Comedy
Eddie Ramirez
«Einer der lustigsten Comedy-Menschen der Schweiz. Wer widerspricht, hat was gegen rollstuhlfahrende, bisexuelle, non-binary Menschen mit Migrationshintergrund.»
www.rollingeddie.com
Podcast
Marc Maron: WTF
«Der Podcast ist ein Juwel. Der abgehalfterte Comedy-Unhold Marc Maron bekam so sein Leben wieder in den Griff. Empfehlung: Episode 1023 mit dem Gast David Letterman.»
www.wtfpod.com