kulturtipp: Catherine McMillan, schauen Sie oder jemand aus Ihrer Familie das «Wort zum Sonntag»?
Catherine McMillan: Ich schaue wenig Fernsehen und bin auf die Sendung im Internet aufmerksam geworden. Gerade die Kommentare des gegenwärtigen Teams wurden häufig über die sozialen Medien verbreitet. Meine Familie und ich erleben samstags und sonntags Kirche live und sitzen nicht vor dem Fernseher.
Da gehören Sie aber zu einer schrumpfenden Klientel. Gotteshäuser stehen heute mehr und mehr leer. Braucht es in unserer säkularisierten Welt überhaupt noch TV-Sendungen über Religion?
Gerade dort! Religion verschwindet nicht einfach, auch wenn man nicht mehr öffentlich darüber redet. Je privater und individueller Religion aber praktiziert wird, desto wichtiger wird es, sie öffentlich zu thematisieren. Das beugt Vorurteilen vor und trägt zum gegenseitigen Verständnis und zum Frieden bei.
Warum sollten sich junge Menschen mit Religion befassen?
Ich als Mutter bin froh, wenn meine Kinder gewisse christliche Werte kennen. Diese helfen ihnen, wenn sie beispielsweise im Internet in Videos oder Reden von anderen Religionen angesprochen werden. Christliche Werte bilden eine Art Raster, mit dessen Hilfe junge Menschen andere Ideen und Weltanschauungen einordnen können. Dies ist im aktuell aufgeheizten Klima mit Blick auf den Islam von Bedeutung.
Werden Sie als Sprecherin vom «Wort zum Sonntag» überhaupt mit jungen Menschen zu tun haben? Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei 64 Jahren . . .
Wie bei Taufen, Hochzeiten und Abdankungen richte ich mich in meinem Kommentar an alle, auch an die Jüngeren. Dabei setze ich wenige Vorkenntnisse über die Bibel voraus, aber Lebenserfahrung und Spiritualität.
Aber ist es möglich, gleichzeitig 20- wie auch 80-jährige Zuschauerinnen und Zuschauer zu erreichen?
Meine Erfahrung in der Kirche ist: Wenn eine Predigt bei Jüngeren ankommt, dann finden sie Ältere doppelt gut. 60- bis 70-Jährige fühlen sich heute zudem mehr denn je mitten im Leben und interessieren sich auch für Lebenswelten jüngerer Generationen.
Womit werden Sie versuchen, ein bestehendes sowie ein neues Publikum zu erreichen?
Als Seelsorgerin beschäftigen mich Themen wie häusliche Gewalt, Trennung der Eltern, Alleinerziehung, Mobbing, Flucht und Integration. Wie geht man damit um? Wie können seelische Wunden heilen? Welche Verantwortung trägt die Gesellschaft?
Als christlicher Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen gehört das «Wort zum Sonntag» zu den wenigen Meinungsäusserungen im öffentlichen Fernsehen. Die Sendung polarisiert und wird entsprechend häufig beanstandet. Sind Sie dafür gewappnet?
Gerade in den Bereichen Glaube, Moral, Ethik und Politik haben Menschen sehr starke Gefühle und Überzeugungen. Es wird immer Hörer geben, die anderer Meinung sind als ich. Wenn ich ihre Einwände ernst nehme, ist es für mich eine heilsame Herausforderung. Ich kann dadurch wachsen und meinen Horizont erweitern. Kritik, die unter der Gürtellinie ist, wird die Redaktion für mich sachlich beantworten.
Das «Wort zum Sonntag» hat sich in mehr als 60 Jahren seines Bestehens so gut wie nicht verändert. Dennoch wird es von 360 000 Zuschauerinnen und Zuschauern wöchentlich gesehen. Wie erklären Sie sich das?
Die Weltlage, die Technik, das Leben im Alltag verändern sich schnell. Es braucht etwas Zuverlässiges, einen unaufgeregten Fixpunkt in der Woche, der Halt gibt. Nach wie vor gehen in der Schweiz sonntäglich etwa eine halbe Million Menschen in einen Gottesdienst. Andere können oder wollen nicht. Vielleicht ist das «Wort zum Sonntag» für manche ein kleiner Ersatz.
Stichwort «Veränderung und Zeitgeist»: Wie ist Ihre Meinung dazu, in der Sendung neben christlichen Theologinnen und Theologen auch solchen jüdischen oder muslimischen Glaubens «das Wort» zu erteilen?
Judentum, Christentum und Islam sind monotheistische Wort-Religionen mit einem gemeinsamen Stammvater, Abraham. Wenn die Beiträge zu Toleranz, Nächstenliebe und Frieden anspornen, ohne gegen andere Religionen zu polemisieren, fände ich es für unsere pluralistische Gesellschaft angemessen und für die Integration förderlich.
Ich habe gelesen, dass Sie regelmässig den TV-Krimi «Tatort» schauen. Haben Sie jene Folge gesehen, in der es um Sterbehilfe ging?
Ja, habe ich tatsächlich. Beide Seiten waren stark überzogen dargestellt, sodass die Argumente ins Groteske gingen und die Story auch deswegen an Realitätssinn verlor. Vielleicht war sie aber gerade deswegen ein hilfreicher Beitrag zur Diskussion.
Wäre dieses aktuelle wie heikle Thema etwas für ein «Wort zum Sonntag»? Und wie würden Sie es christlich kommentieren?
Ja, das wäre vorstellbar. Je stärker Sterbehilfe gesellschaftlich akzeptiert wird, desto eher geraten alte Menschen unter Druck und befürchten, Jüngeren zur Last zu fallen. Ich bin aber der Meinung, dass unsere Gesellschaft die Verantwortung für die ältere Generation übernehmen muss.
Interview: Gertrud Rall
Catherine McMillan
Die 55-jährige Theologin ist in Schottland geboren und in den USA aufgewachsen. Ihr Studium absolvierte sie in Montpellier, Strassburg, Heidelberg, Tübingen und Richmond. Nach zehn Jahren als Pfarrerin im Bezirk Konstanz (D) zog sie 2003 in die Schweiz und übernahm eine Landpfarrstelle in Brunnadern (SG). Seit 2013 ist McMillan Pfarrerin der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Dübendorf (ZH) und wurde 2015 zur Reformationsbotschafterin der Zürcher Landeskirche gewählt. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Kindern und verheiratet. McMillan ist presbyterianisch aufgewachsen. In St. Gallen und in Zürich musste sie ein «Kolloquium» bestehen, um die Wahlfähigkeit zu erlangen. Dabei spielten Kirchengeschichte, Theologie und Kirchenordnung eine Rolle.
«Wort zum Sonntag» mit Catherine McMillan
Sa, 5.11., 20.00 SRF 1
Sa, 10.12., 20.00 SRF 1