Olaf Krügers Begeisterung für Island legt sich über sein Publikum wie der warm-orange Schimmer des Fotos, das gerade auf der grossen Leinwand zu sehen ist. Auf dem Bild hat die untergehende Sonne das Felsentor von Dyrhólaey satt eingefärbt.
Krüger schoss es auf seiner ersten Island-Reise. Und fing dabei auch jenen Moment ein, in dem ihn das «Island-Virus» befiel, wie er gut 20 Jahre später an einem Samstagnachmittag im Zürcher Volkshaus sagt. Für seine Livereportage «Sagenhaftes Island» hat sich der grosse Saal fast bis in die letzte Reihe gefüllt. Der Fotograf will sein Publikum auf eine Reise durch sein ganz persönliches Island mitnehmen. Diese dauert fast zweieinhalb Stunden.
Das Publikum lacht, staunt und raunt
Westmännerinseln, Reykjavík, Westfjorde, das Hochland. Zu isländischem Pop und atmosphärischen Elektroklängen zeigt der Fotograf aufschiessende Geysire, zerfurchte Landschaften, Islandschafe und Papageientaucher. Er stellt passionierte Barbiere, knorrige Fischer und zähe Eisschwimmerinnen vor, kuriose Sportarten und gewöhnungsbedürftige Spezialitäten. Er lässt Nordlichter und Wolken wabern und Lava den Berg runterknacken und knistern.
Sein Publikum: lacht, staunt, raunt. Die Europäer lieben Reisevorträge. Fotografen wie der Winterthurer Corrado Filipponi, der aktuell mit «Wanderland Schweiz 2» unterwegs ist, füllen zwischen Oktober und April die Aulen und Mehrzwecksäle. Und im deutschsprachigen Raum entstanden in den vergangenen 25 Jahren gleich mehrere Firmen, die mit ihren Livereportagen und Vortragsfestivals längst auch grössere Säle bespielen.
In der Schweiz werden Livereportagen wie Olaf Krügers «Sagenhaftes Island» heute zu einem Grossteil von Explora Events organisiert. Die Firma besteht seit 2001 und schickt mittlerweile jede Saison zwischen 16 und 20 verschiedene Vorträge auf Schweiz-Tournee. Was die jährlich über 70 000 Zuschauer da zu sehen bekommen, entscheidet mitunter Gabriel Gersch. Er sagt: «Für einen guten Vortrag braucht es heute vor allem eine gute Geschichte.» Einfach nur schöne Fotos zeigen, reiche nicht mehr. Heute sei es für Vortragsreferenten fast Standard, Videos und Interviews einfliessen zu lassen, mit Effekten zu spielen und Erzählbögen zu spannen. «Wir haben ein treues, aber anspruchsvolles Stammpublikum. »
Vom Segelabenteuer bis zum Comedy-Vortrag
So entwickelt sich auch das Angebot von Explora ständig weiter. Diese Saison etwa gibt es das Segelabenteuer «Bis ans Ende der Welt» zu sehen, eine Livereportage des Bergsteigers Stephan Siegrist, oder den Comedy-Vortrag «Mischn Impossible» über zwei ostdeutsche Komiker, die mit einem motorisierten Rollstuhl bis nach Portugal gefahren sind. Im Januar hatte Explora den Schweizer Kriegsfotografen Alex Kühni zu Gast. Und im kommenden Jahr steht der Vortrag eines Klimawissenschafters auf dem Programm.
«Die klassische Länderreportage wird für uns immer wichtig bleiben», sagt Gersch. «Aber wir möchten den Zuschauern künftig vermehrt aussergewöhnliche Abenteuer, kritische Themen oder etwas Lustiges bieten.»
Im Volkshaus ist Pause. Kaum geht das Licht im Saal an, holen zwei Frauen eine Reihe weiter hinten ihre Checkliste für die Island- Reise hervor und besprechen ausstehende Buchungen. Derweil ist das ältere Ehepaar nebenan vom Vortrag begeistert. «Wir sind zu alt, um noch in den hohen Norden zu reisen», sagt sie, «aber es ist auch schön, sich dieses Land vom Stuhl aus anzusehen ». Auf der Leinwand laufen da bereits Trailer für weitere Livereportagen. Und ein Herr witzelt auf dem Weg ins Foyer, zu sei- nen Diaabenden früher seien höchstens Familienmitglieder erschienen.
Livecharakter stellt Authentizität her
Weshalb sind Reisevorträge so beliebt? Tobias Scheidegger forscht am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich zu Themen wie Landschaftsästhetik und populäre Naturbeziehungen. Er verortet das Genre in der langen Tradition des Reiseberichts.
Bereits im späten 18. Jahrhundert seien solche Textkonglomerate aus naturkundlicher Betrachtung, Geografie und Abenteuerroman sehr beliebt gewesen. Im späten 19. Jahrhundert wiederum seien Ballonpioniere wie Eduard Spelterini mit ihren Fotovorträgen in ganz Europa vor Publikum aufgetreten.
Dass Reisevorträge in den vergangenen 25 Jahren zu Grossveranstaltungen geworden sind, ist für den Kulturwissenschafter kein Zufall: «Gerade in der Schweiz hat die Begeisterung fürs Reisen und für Outdoor-Aktivitäten stark zugenommen.» Zudem sei in diesem Zeitraum auch die Popularität der Fotografie noch einmal gestiegen. «Günstigere Spiegelreflexkameras und digitale Bildbearbeitungsprogramme ermöglichen es den Menschen heute, auch hobbymässig auf hohem Niveau zu fotografieren. Solche Vorträge sind da natürlich Inspirationsquellen», sagt Scheidegger. Schliesslich verortet er den Reiz des Genres auch im Livecharakter, der Authentizität herstellt. «Die Menschen hören einfach gerne jemandem zu, der sie auf ein Abenteuer oder eine Reise entführt, die er selber tatsächlich erlebt hat.»
Die Reisen beginnen im Kopf
Der grosse Saal im Volkshaus ist wieder abgedunkelt. Olaf Krüger bricht mit seinem Publikum auf zu den letzten Etappen seiner Island- Reise. Im Zeitraffer tanzen jetzt Eisschollen in der Gletscherlagune Jökulsárlón zu klassischen Klängen. Wie Vorhänge spannen irgendwann Nordlichter ihren grünlichen Schimmer über diese surrealen Eisskulpturen. Und in den Köpfen der Zuschauer gären die Abenteuer. Wann beginnen die nächsten Ferien?
Reportagen, Filme, Multivision
Visuelle Abenteuerreisen
Corrado Filipponi – Wanderland Schweiz 2
Sa/So, 4.2./5.2., 20.00/16.00, Banana City Winterhur ZH
Weitere Termine: www.dia.ch
Livereportagen von Explora:
Stephan Siegrist – Der Alpinist
Mi, 8.2., 19.30 Aula Freies Gymnasium Bern
Mischn Impossible – Abenteuer, die die Welt nicht braucht
Fr, 3.3., 19.30 Titthof Chur
Bis ans Ende der Welt – 10 Jahre, 60 000 Seemeilen, 6 Ozeane
Mo, 20.2., 19.30 Volkshaus Zürich
Weitere Veranstaltungen: www.explora.ch