Frisch von der Leber weg
Autor Helge Timmerberg ist der Globetrotter schlechthin: Mit seinen witzigen und pointierten Reisereportagen wie «Tiger fressen keine Yogis» erlangte er Kultstatus. Der schreibende Abenteurer und Alt-Hippie fühlt sich überall zu Hause. Und wenn er zurück in seinen Heimatort Bielefeld kommt, merkt er im Gespräch mit den grundsoliden Ostwestfalen schnell, warum er vor 40 Jahren in die weite Welt hinausgezogen ist. Sein jüngster Band umfasst neue und überarbeitete, wie immer sehr persönliche Reisereportagen von Barcelona bis Beirut. Er lässt sich vom Zufall treiben, erkundet die Seele eines Landes, indem er frisch von der Leber weg mit den Einheimischen spricht – ob Priester oder Punk. Timmerberg zelebriert die Leichtigkeit des Seins, streut in seinem saloppen Tonfall aber auch ab und an eine kleine Lebensweisheit ein. (bc)
Helge Timmerberg
Die Strassen der Lebenden – Storys von unterwegs
208 Seiten (Malik 2018)
Der Tanz des Emus
Wenn Kängurus auf Eukalyptuszweigen in Erdöfen geschmort werden, sitzt er am Feuer mit dabei, beim «Emu-Tanz» wackelt er hinterher: Der deutsche Autor Carl von Siemens gibt für seine literarischen Reportagen vollen Einsatz. Sein Ziel ist es, das Unverfälschte, Ursprüngliche zu erfahren: etwa bei den australischen Pitjantjatjara, einem Stamm der Aborigines, bei dem er eine Zeit lang lebte. «Kalaya» nennen ihn die Pitjantjatjara, was so viel heisst wie «Emu» – der Autor erinnert sie an diesen Laufvogel. Mit viel Humor erzählt er von seinen Erfahrungen, idealisiert dabei aber nicht. So berichtet er von seiner Faszination für die Naturnähe, Poesie und Magie der Aborigines genauso wie vom harten Alltag, den die Moderne mit sich bringt: Denn auch Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe und Konflikte mit weissen Siedlern prägen ihr Leben. Auf weiteren Reisen begibt sich Siemens zu indigenen Völkern auf den Cookinseln und in Peru – und stürzt sich auch hier mit Haut und Haar in ihre Welt hinein, etwa beim Selbstversuch mit halluzinogenen Pflanzen. (bc)
Carl von Siemens
Der Tempel der magischen Tiere
288 Seiten (Malik 2018)
Zwei Klassiker
- Erlebnisraum Kreuzfahrt
Als die Einladung des «Harper’s Magazine» kam, konnte David Foster Wallace nicht widerstehen. Der damals 35-jährige, gefeierte US-Autor bestieg ein Kreuzfahrtschiff, mit dem er eine Woche durch die Karibik fuhr. Es entstand eine grosse Reportage, die Geschichte schreiben sollte. Denn Foster Wallace (1962–2008) erfasste nicht nur Lebensraum und Stimmungslage der nautischen Zwangsgemeinschaft, er dokumentierte skurrile Vorkommnisse und aufgeschnappte Dialoge mit ironischer Präzision. Wer je selbst auf Kreuzfahrt war, kann bestätigen, dass das oft beschworene «Baumelnlassen» von Reisenden nicht nur die Seele, sondern auch den Verstand betrifft. In dieser Neuausgabe illustriert der Schaffhauser Zeichner Chrigel Farner (46) pikante Stellen der Reportage. (fn)
David Foster Wallace
Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich
Illustriert von Chrigel Farner
200 Seiten, Edition Büchergilde 2018
- Expeditionen ins Innere
Seine Reiseleidenschaft hat der italienische Autor Antonio Tabucchi (1943–2012) in Romanen wie dem «Indischen Nachtstück» anklingen lassen. In seinen Reportagen zeichnete er Reisen stets auch als Expeditionen ins eigene Innere nach. So gibt ihm das legendäre Cafè Brasileira in Lissabon Anlass zu Spekulationen über Sehnsucht und Melancholie. Beim Flanieren in New York, Kairo oder Solothurn erinnert er sich seiner Kindheit und prägender Erlebnisse. Die handliche Neuausgabe von Tabucchis Buch passt in jedes Reisegepäck. (fn)
Antonio Tabucchi
Reisen und andere Reisen
256 Seiten
dtv-Taschenbuch 2018
Weitere aktuelle Reisereportagen
Aus- und Aufbrüche
Als sich Lina Bögli 1892 aufmachte, die Welt zu bereisen, erregte sie damit Aufsehen. Reisende Frauen kamen damals Exotinnen gleich, doch die mutige Lehrerin aus Bern war zehn Jahre lang unterwegs und wurde zur ersten Schweizer Reiseschriftstellerin. Der deutsche Autor Armin Strohmeyr hat sich auf Frauenbiografien spezialisiert und zeichnet in seinem neuen Buch die Reisen solch mutiger, aus sozialen Normen ausbrechender Frauen nach. Nebst Bögli begleitet er die Ungarin Maria Leitner, US-Autorin Annie Taylor oder die irische Fahrrad-Reisende Dervla Murphy. (fn)
Armin Strohmeyr
Weltensammlerinnen. Spektakuläre Reiseabenteuer mutiger Frauen
352 Seiten, Piper Taschenbuch 2018
Abenteuer Fluss
Der Po ist Italiens längster, aber nicht unbedingt schönster Fluss. Paolo Rumiz (71) wollte es genau wissen: Der umtriebige Reiseschriftsteller aus Triest hat sich in Kanu und Segelschiff gesetzt und ist losgedriftet. Von der Quelle in den Piemonteser Alpen bis zum mündenden Adria-Delta hat er unterschiedliche Landschaften und Städte passiert, ist Menschen begegnet und hat den ungewöhnlichen Verkehrsweg Fluss als Idylle ebenso erlebt wie als Abenteuer. Entstanden sind so kurzweilige wie eindrückliche Reisereportagen. (fn)
Paolo Rumiz
Die Seele des Flusses.
Auf dem Po durch ein unbekanntes Italien
319 Seiten, Folioverlag 2018
Unterwegs im europäischen Urwald
Der letzte Urwald Osteuropas ist aktuell oft in den Schlagzeilen, weil er bedroht ist. Wo die neue polnische Regierung Abholzungen zulässt, hat Michal Ksiazek einzigartige Biosphären entdeckt. Diese dokumentiert der 40-jährige Ornithologe und Kulturwissenschafter nun in einem Buch. Ksiazek beschränkt sich aber nicht auf die ökologische Bedrohungslage, sondern bereist auch den Kulturraum an den Grenzen zu Ukraine und Weissrussland. Er porträtiert Menschen, besucht historische Monumente und durchstreift die einzigartige Flusslandschaft des Bug. (fn)
Michal Ksiazek
Strasse 816: Eine Wanderung in Polen
272 Seiten, S. Fischer 2018