Die Tücken der Technik: Sie äussern sich bei der vorerst fehlenden Verbindung im Skype-Interview – und mit ihnen muss sich Reina Gehrig neuerdings auch bei den Solothurner Literaturtagen rumschlagen. Doch die 37-Jährige bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Gut gelaunt lacht sie in ihrem Home-Office in Bern in die Kamera und löst im Nu das Technik-Problem. Ebenso unkompliziert hat sie sich nach der Festival-Absage Ende März an die Umsetzung einer Online-Ausgabe gemacht. Während acht Wochen will sie mit ihrem Team für guten Ersatz sorgen.
Alternativprogramm zu Sofalesungen
Peter Bichsel in der Beiz oder Franz Hohler an der Aare wird man in diesem Jahr nicht begegnen. «Die digitale Version kann den persönlichen Austausch nicht ersetzen», ist sich Gehrig bewusst. «Aber wir wollen online Räume schaffen, in denen das Publikum teilhaben kann an Diskussionen.» Klar ist für sie, dass es nicht einfach eine weitere Streaming-Plattform mit Lesungen geben soll: «Lesende Autoren auf dem Sofa haben wir nun alle zur Genüge gesehen!» Vielmehr setzt sie auf Vermittlung.
Das Festival besteht aus drei virtuellen Räumen: Das Publikum kann etwa bei Diskussionspodien zuhören oder selbst aktiv werden und mit einer Autorin über ihr Manuskript diskutieren. Auf dem Programm stehen zudem ein Comic-Workshop, ein virtueller Stammtisch oder der «Club+», in dem man sich mit dem Autor über Leseerfahrungen austauscht.
«Unser Ziel ist es auch, den Büchern, die in diesem Corona-Frühling völlig untergegangen sind, eine Plattform zu geben – und den leidgeprüften Autoren ihre Honorare zu bezahlen.» Dank der Unterstützung von Stadt, Kanton und Stiftungen würden sie mit einer schwarzen Null herauskommen, ist Gehrig überzeugt. Mit neuen Situationen konnte sich die Germanistin schon immer gut arrangieren. Aufgewachsen ist sie in Singapur, danach folgten die Ostschweiz, Solothurn, Mexiko und schliesslich Bern. Die Herausforderung scheut sie nicht: Mit 30 übernahm sie die Leitung der Solothurner Literaturtage und kann nun auf sieben erfolgreiche Jahre zurückblicken, in denen sich der Betrieb professionalisiert hat. «Wir wollten die Literatur näher an die Leute bringen und mit neuen Formaten auch rausgehen auf Strassen und Plätze – es soll kein elitäres Festival sein.»
Ende Juli wechselt sie zu Pro Helvetia und wird die Abteilung Literatur leiten. Die «Festival-Droge», den Rausch in den intensiven Planungsmonaten, wird sie zwar vermissen. Aber als Mutter zweier kleiner Kinder freut sie sich auch auf regelmässigere Arbeitszeiten. Doch vorerst heisst es nun in Solothurn: Experimentieren! «Wir haben keine Erfahrungswerte, einiges wird funktionieren, anderes nicht – das macht den Reiz aus.»
Solothurner Literaturtage
Ab Do, 14.5.: Online-Magazin mit Interviews, Audiobeiträgen etc.
Fr, 22.5.–So, 24.5.: Online-Festival
www.literatur.ch
Die Literaturtage am Radio
Fr, 22.5.–So, 24.5, ab jew. 07.00
SRF 1/SRF 2 Kultur
Reina Gehrigs Kulturtipps
Roman
Madame Nielsen: Monster (Kiepenheuer & Witsch 2020)
Ein Künstlerroman zwischen Schein und Wirklichkeit. Die Autorin, geboren als Mann, hat 2001 ihren eigenen Tod inszeniert und ist seither die Kunstfigur Madame Nielsen.
Spoken Word
Semi Eschmamp: Mein Vorbar ist auch mein Nachbar (Der gesunde Menschenversand 2020)
Die Kurztexte und schrägen Gedichte sind absurd, voller Wortwitz und Hintergründigem. Dabei wird unter Eschmamps messerscharfem Blick aus Alltäglichem Fantastisches.
Bilderbuch
Anete Melece: Der Kiosk (Atlantis Verlag 2020)
Die farbenprächtig illustrierte Geschichte der Kioskfrau Olga ist überraschend und humorvoll.