Ein Theaterabend über LSD und dessen Entdecker Albert Hofmann weckt Assoziationen von psychedelischen Farbenräuschen. Diese klischierten Bilder will Thom Luz in seinem neuen Stück vermeiden. «Nichts ist langweiliger, als wenn einer von seinen Erfahrungen mit halluzinogenen Substanzen erzählt», sagt der 33-jährige Künstler. Ihn interessieren andere Aspekte des Themas: «Die Seele ist offensichtlich ein solch unerforschter und weiter Raum, dass unter dem Vergrösserungsglas dieser Substanz unglaublich viel zum Vorschein kommt. Die Sinne – das Sehen, Hören, in sich Hineinhorchen – werden verstärkt, und dennoch ist das intellektuelle Erleben nicht ausgeschaltet.»
Musikalischer Zugang
Zur Vorbereitung auf das Stück hat sich Luz nicht auf LSD-Trips begeben, sondern lesend in die Materie vertieft und einen musikalischen Zugang gesucht – ohne dokumentarischen Anspruch. «Ich will den Blick dahin lenken, wo der Zuschauer nicht hinschaut.»
Im Buch «LSD – mein Sorgenkind» des Schweizer Chemikers Albert Hofmann ist Thom Luz eine Umschreibung sofort ins Auge gesprungen: «Fahrten in den Weltraum der Seele.» Eine solche Expedition in unbekanntes Gebiet wollte er in seinem Stück unternehmen. Das Dilemma dabei: «Wir versuchen, etwas zu beschreiben und zu verstehen, das sich nicht beschreiben lässt.» Zumindest sprachlich ist er schnell an Grenzen gestossen: «Aber in meinen Arbeiten spielt nicht der Text, sondern der Klang die Hauptrolle.»
Velofahrt im Zentrum
Da der Regisseur, Schauspieler und Musiker ein leidenschaftlicher Tüftler ist, hat er seine Texteindrücke in Musik umgewandelt: Etwa mit Klavieren, durch die zwischen den Hämmern und Saiten ein Papier läuft. Die Hämmerchen sind mit Tinte gefärbt – und so entsteht aus Klängen eine Farbkomposition. Fahrräder, die Luz in ihre Einzelteile zerlegt hat, dienen als Rhythmusinstrument. Aus den Rädern und den Stangen lässt sich eine eigene Soundkulisse schaffen.
Im Mittelpunkt des Theaterabends steht Albert Hofmanns Velofahrt, die er nach der unbeabsichtigten Einnahme von LSD unternommen hat. Die Theatermacher sind die Strecke, die der Chemiker in Basel von seinem Labor bis zu sich nach Hause geradelt ist, selbst abgefahren und haben sich davon inspirieren lassen. Die Bühne gleicht einem Labor, in dem die fünf Schauspieler als Chemiker oder Klangspezialisten experimentieren und sich Albert Hofmanns Erlebnis zu nähern versuchen. Über allem schwebt die Frage: Was genau ist die Realität? Thom Luz hält sich dabei an den Komponisten John Cage: «Realität heisst, von Mysterien umgeben zu sein.»
Das Theater Basel unter dem neuen Intendanten Andreas Beck, bei dem Luz seit diesem Jahr als Hausregisseur angestellt ist, lässt ihm beim Experimentieren freie Hand. So hat er etwa Goethes «Werther» rückwärts erzählt oder Thomas Manns «Zauberberg» mit asthmatisch schnaufenden Klangkörpern in einem traumverlorenen Zwischenreich inszeniert.
Luz kommt auf dem Rundgang durch sein Klanglabor in Fahrt, je länger er von seinen Projekten erzählt. «Am Anfang eines Stücks steht immer ein Rätsel oder Geheimnis, das ich mit einem musikalischen Zugang zu lösen versuche. Ich suche Orte, wo es etwas zu entdecken gibt. Mir gefällt das Unreale», sagt er. Auf diesen Zwischenbereich, der manchmal einem Traum gleicht, sollte sich auch das Publikum einlassen – und Ohren und Hirn in einen anderen Modus stellen.
Eigenes Universum
Luz’ Stücke sind ein sinnliches Erlebnis. Aus Klang und surreal anmutenden Räumen erschafft er sein eigenes Universum. Und zuweilen inszeniert er nicht nur seine Theaterstücke, sondern auch sich selbst: Wenn er als Sänger und Gitarrist der Indie-Rock-Band My Heart Belongs To Cecilia Winter mit schwarzen Flügeln und Glitzer im Gesicht aus dem Nebel auf die Bühne tritt, kann er seine extrovertierte Seite ausleben.
Weil die Band zurzeit eine Pause macht und einen neuen Schlagzeuger sucht, konzentriert er sich indes auf seine Theaterarbeit. Und mit dieser befindet er sich auf einem Höhenflug: 2014 wurde er von «Theater Heute» als Nachwuchsregisseur des Jahres ausgezeichnet, und der «Spiegel» hat ihn als den «neuen Marthaler» gehandelt. Der Künstler selbst versucht, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. «Heute ist alles so zweckoptimiert und gewinnorientiert», meint er. «Bei mir geht es oft um die Eroberung des Nutzlosen. Darin liegt ein grosser Trost.»
Vom Wundermittel zur illegalen Substanz
In seinem Buch «LSD – mein Sorgenkind» beschreibt der Schweizer Chemiker Albert Hofmann (1906–2008), wie er per Zufall die Wirkung der hochpotenten Substanz LSD entdeckte. Bei der Arbeit an einem kreislaufstimulierenden Mittel im Basler Sandoz-Labor wurde er 1943 plötzlich von «einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit verschiedenen leichten Schwindelgefühlen» erfasst. Auf seiner Heimfahrt mit dem Velo erlebte er den ersten LSD-Trip der Welt: «Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen.» Durch die Fingerspitzen hatte er wohl versehentlich eine kleine Menge der Substanz aufgenommen. Um dem auf den Grund zu gehen, unternahm er ein paar Tage später einen Selbstversuch, der ihm einen weiteren Trip bescherte.
Die Forschung zu halluzinogenen Wirkstoffen erlebte danach einen enormen Aufschwung und weckte das Interesse von Medizinern. Bis Anfang der 60er-Jahre galt LSD als Wundermittel gegen zahlreiche psychische Leiden. Dann entdeckten die Hippies die bewusstseinserweiternde Substanz. Seit Mitte der 60er gilt sie als illegales Betäubungsmittel. Hofmann selbst hatte vor der unkontrollierten Einnahme von LSD gewarnt, sich aber für den Gebrauch im medizinischen Rahmen eingesetzt.
LSD – mein Sorgenkind
Premiere: Sa, 31.10., 20.00 Theater Basel