Ob Bern oder Basel, Appenzell oder Aargau: Kaum eine Region in der Schweiz, in der kein fiktiver Mörder sein Unwesen treibt. Und damit der Leser merkt, wie nahe er dem Verbrechen ist, schmückt der typische Regionalkrimi örtliche Details genussvoll aus. Korrekte Strassennamen, Restaurants, Berge und Seen lassen Mord und Totschlag möglichst realistisch erscheinen. Und je idyllischer und ländlicher die Gegend, desto grösser der Kontrast zum Gewaltverbrechen, desto packender für den Leser.
Das Böse unter uns
Kommerziell Erfolg versprechend sind besonders touristisch reizvolle Gegenden, in denen der Regio-Krimi als Ferienlektüre oder als Souvenir für die Rückkehr gekauft wird. In diesem Fall ist für den Leser der Schauplatz das Wichtigste, der Autor bleibt zweitrangig. So entdecken die Leser die meisten Regionalkrimis in den örtlichen Buchläden. Manche Verleger geben schon auf dem Buchdeckel Hinweise auf die Region. Die Emons-Titel «Gift im Aargau», «Tod im Rheinfall» oder etwa der Zürich-Krimi «Sechseläuten» sind Paradebeispiele des Regio-Krimis.
«Sechseläuten»-Autor Michael Theurillat, Ex-Banker mit Büro an der Bahnhofstrasse, wählte zwar für seinen Mord nicht gerade einen abgeschiedenen Ort. Doch er nutzt die Lust des Lesers am lokalen Verbrechen und siedelt es inmitten des traditionellen Volksfestes am Ufer des Zürichsees an. Deutlicher könnte sich das sprichwörtliche «Böse unter uns» kaum zeigen: Ein Gewaltverbrechen inmitten der Schweizerischen Beschaulichkeit zwischen standhafter (Zunft-)Tradition und idyllischer Natur (Zürichsee und Uetliberg).
Das Setting kontrastiert perfekt mit der Megacity London, der erbarmungslosen Welt der Hochfinanz, in der die Schwester der Ermordeten lebt. Dort London Mayfair, hier Wädenswil. Dort harte Geschäftsverhandlungen in der 21sten Etage, hier «gemütliche Bratwurst»: Spätestens jetzt empfindet der Leser Zürich nicht mehr als pulsierenden Finanzplatz, sondern als pittoreske Postkartenidylle.
In diese platziert der Autor einen eigenwilligen Ermittlertyp. Kommissar Eschenbach ignoriert E-Mails von Vorgesetzten, raucht umso mehr Zigarillos und ist auch sonst alles andere als fehlerfrei. Gerade das macht ihn so menschlich und sympathisch – für einen Regionalkrimi geradezu stereotyp.
Hinter der Haustür
Jagten früher noch unnahbare Geheimagenten wie James Bond dem Bösen hinterher, so befassen sich heute Allerweltstypen mit den Abgründen der Menschheit. Sie müssen nicht mehr an die exotischen Schauplätze der Welt jetten, um den Leser zu beeindrucken. Dieser hat inzwischen – dem Ferntourismus sei dank – selber genug gesehen und findet die Leiche in Nachbars Garten spannender als diejenige in Bangkok oder Miami. Die globalisierte Gesellschaft sehnt sich zurück nach Heimat als verlässlicher Konstante – auch das spiegelt sich im Boom der Regio- oder auch Heimat-Krimis wider.
Abgerundet wird das Ganze durch ein ordentliches Mass an Voyeurismus, das Regio-Krimis beim Publikum fördern. Wie hinter einer halb geöffneten Haustür kann der Leser ein Geschehen beobachten, das er sonst in seinem Umfeld kaum erlebt: Je näher der Tatort, desto grösser die emotionale Erregung.
Die zahlreichen Autorinnen und Autoren, die sich dem populären Mord vor der Haustüre widmen, entstammen der Region, über die sie schreiben. Dies zeigen auch die jüngst erschienenen Romane.
Zu viel des Guten
Die Entwicklung des E-Book-Publishings, bei der jeder Schriftsteller sein digitales Buch selber verlegen kann, wird das Subgenre zusätzlich beflügeln. Neben Thrillern und Romantik-Schnulzen belegen Krimis schon jetzt die vorderen Plätze der Amazon-Bestsellerlisten für E-Books.
Bei Weitem nicht alle Schweizer Regio-Krimis haben das Erfolgspotenzial von «Sechseläuten» oder etwa das des Basler «Kommissärs Hunkeler» – sechs von acht der Hunkeler-Krimis wurden bereits mit Mathias Gnädinger verfilmt. Viele Titel schaffen es kaum auf Bestenlisten und über die Region hinaus bekannt zu werden. Ihnen wird gerade das zum Verhängnis, was sie ausmacht: Vor lauter Lokalkolorit bleibt die Story auf der Strecke. Was übrig bleibt, ist bestenfalls unterhaltsame Heimatliteratur.
Auswahl an Krimis mit Schweizer Schauplätzen (siehe pdf File)