Hier herrscht Wohlstand, nur diskret angetönt zwar, aber unverkennbar: Die französisch-deutsche Fotografin Ré Soupault hat diese Pariser Strassenszene aus ungewöhnlichem Winkel festgehalten. Das Hochzeitsbild ist in der Ausstellung «Das Auge der Avantgarde» im Zeppelin Museum Friedrichshafen am Bodensee zu sehen. Die Schau zeigt 183 Fotografien, davon rund 50 bisher unbekannte, die während Jahren verschollen waren und nur durch Zufall in den Souks von Tunis zum Vorschein kamen. Das Museum führt damit seine Reihe von Foto-Ausstellungen weiter. Bereits Anfang Jahr waren Bilder des US-Amerikaners Andreas Feininger zu sehen.
Stark und unabhängig
Hinter der ungewöhnlichen Pariser Aufnahme steht eine Frau, die sich keinen Konventionen unterzog, die sich stets für das entschied, was ihr gerade am aufregendsten erschien. Dabei hätte Meta Erna Niemeyer (1901–1996), wie sie ursprünglich hiess, in der Provinz Pommerns versauern können, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Doch sie fühlte sich zur Künstlerin berufen und kam ans Bauhaus in Weimar, wo sie sich vom legendären Zürcher Lehrer Johannes Itten inspirieren liess. In den 20ern zog sie nach Berlin und heiratete den Dadaisten Hans Richter. Zwei zu eigenwillige Charaktere kamen da zusammen; die beiden trennten sich nach kurzer Zeit. Nun wandte sich Niemeyer nicht etwa der Kunst zu, sondern der Mode. Sie führte ein eigenes Atelier für Sportkollektionen zumindest zu Beginn so erfolgreich, dass ihre Kreationen die Aufmerksamkeit der damals führenden Modejournalistin Helen Hessel fanden, die später im Film «Jules et Jim» von François Truffaut mit Jeanne Moreau verewigt wurde.
In illustren Kreisen
Jetzt gehörte die junge Deutsche zur Pariser Avantgarde, zu jenem Kreis illustrer Künstler mit Alberto Giacometti, Sonia und Robert Delaunay, Man Ray oder Fernand Léger, die im Café du Dôme in Montparnasse verkehrten. Das Lokal war damals Angelpunkt französischer Erneuerer, ist heute aber zum Touristenort geworden, der mit dem Pariser Leben so viel zu tun hat wie das Disneyland im Osten der Stadt.
In jener Zeit lernte Niemeyer den Journalisten und Philosophen Philippe Soupault kennen, den sie heiratete. Fortan zogen die zwei durch Europa: Er schrieb, sie fotografierte. 1938 landeten sie in Tunesien. Die sozialistische französische Regierung beauftragte Soupault, in Tunis eine antifaschistische Radiostation aufzubauen. Doch drei Jahre später war Frankreich besetzt, das Paar wurde von der nazifreundlichen Vichy-Regierung verfolgt. Noch schlimmer: Am 13. November 1942 mussten die Soupaults Tunis überstürzt verlassen, einen Tag, bevor Nazi-Truppen die Stadt eroberten, flüchteten sie über Algerien in die USA ins Exil.
Ihr Haus in Tunis wurde geplündert – und damit gingen die Negative der Fotografin Ré Soupault verloren. Darunter war eine Fotoserie von mittellosen Frauen, die in einem «Quartier Réservé» von Tunis nur mit Prostitution überleben konnten. Eine Fotoreihe, die heute als Kernstück des Œuvres zählt. Andere Werke erzählen Pariser Stadtgeschichten, zum Beispiel das Bild der munteren Strassenband von Paul Beuscher. Noch heute lockt das traditionelle Pariser Musikhaus Beuscher unweit der Rue de Rivoli mit seinem breiten Instrumenten-Angebot anspruchsvolle Interpreten an.
Ein Jahr nach dem Krieg entdeckte eine Freundin des Paars die verlorenen Negative in den Souks von Tunis und liess sie Ré Soupault zukommen – immerhin 1400 Negative und 500 Abzüge. Diese schien an den künstlerischen Wert ihrer Arbeiten in Couverts nicht zu glauben, verstaute die Negative und vergass sie. Erst ein deutscher Verleger entdeckte die Bilder vor 30 Jahren und erkannte das gestalterische Potenzial des Werks.
Leben mit Brüchen
Das Ehepaar Soupault trennte sich nach dem Krieg eine Weile. Sie lebte in Basel, er in Paris. Sie arbeitete damals für verschiedene Radiostationen und war als Übersetzerin französischer Autoren tätig. Im Alter kehrte Ré Soupault nach Paris zurück und nahm die Beziehung mit ihrem Ehemann Philippe wieder auf, auch wenn die beiden nie mehr zusammenwohnten.
«Ré Soupault führte ein Leben mit zahlreichen Brüchen», sagt Frank-Thorsten Moll vom Zeppelin Museum in Friedrichshafen. Das Modegeschäft musste sie verlassen, weil sich ihr Geschäft nicht mehr lohnte, dann spielten ihr die Unbilden der Nazizeit wie fast allen Künstlern ihrer Generationen übel mit. Dazu kamen die Beziehungskrisen – Ré Soupault wird sich mit ihren illustren Partnern nicht einfach arrangiert haben. Diese Brüche haben laut Moll dazu beigetragen, dass sie nach dem Krieg in Vergessenheit geraten ist. Ihre künstlerische Vielseitigkeit stand der bleibenden Erinnerung an diese aussergewöhnliche Frau entgegen.
Ré Soupault – Das Auge der Avantgarde
Fr, 24.7.–So, 4.10. Zeppelin Museum Friedrichshafen (D)