da ist ein tisch · er steht leer an der kante des meers
blechklammern für das aufgewehte papier
eine schale roter honig · ein paar sandalen im sand
er holt stühle über die strasse
in ihrer tasche steckt frisches brot
sie ist wie die nadelzweige der kiefer
unter der sie sitzt · die brust ist ihre borke
die ans ufer geworfene wasserlinie die beine
er ist barfuss und hält sich die hand vor augen
um sie besser zu sehen
ab und an fahren wagen vorüber
auch nach dem klingeln hat sich niemand im haus geregt
die fensterläden des oberen stocks sind geschlossen
essen muss man also mit den fingern
und sich die wasserflasche selber füllen
sie geht den strand entlang
sie weiss sie wird beobachtet · ihr gang ist unbekümmert
er hat nichts das ihm solche sicherheit verliehe
das haus steht in einem feld von vergilbtem gras
er ist verschwitzt vom tag
seine fingernägel sind dreckig
sein hemd am rücken feucht wie fels es werden kann
die tür steht offen · der vormittag war bewölkt
doch die schnüre des regens verdunsteten über dem boden
sie kneift vor dem wind die augen zusammen
er kommt über den kies gestakst · zwei stuhllehnen
in der rechten · eine in der linken
er hat etwas unerschütterliches mag es auch täuschen
einmal aufgebrandet rollen die wellen am ufer aus
haut ist kalkstein nicht unähnlich
er zerfliesst mit der zeit am wasser zu furchen
ein gesicht dann das was man darauf gewahrt
das haus wirkte als wäre ein mahl da zu finden
über feuer gedrehte fleischspiesse
fett das zischend herabtropft · gerstenmehl
sie hat ihre arme um den bauch geschlungen
seine füsse sind zerschunden vom dornigen gestrüpp
disteln und schlehdorn
sie ist weit weg jetzt scheint sich aber das kleid
über den kopf zu ziehen
er hat inzwischen die stühle zum tisch gestellt
wo ein bein tiefer einsinkt als das andere
sie steht im meer · es reicht ihr bis zur hüfte
und überspült sie manchmal
er zieht das brot aus der tasche · nimmt die schale
und setzt beides auf den rand des papiers
was mittags glast war wird jenes weiss
das sich mit dem abend über das wasser legt
dass sie einen emailkrug in der hand hält
mit dem sie gischt schöpft sieht er
ebensowenig wie die kormorane ihrer ohrringe
und kann deshalb beides nicht verbinden
das meer verspricht nichts · es verheisst nur
durch die fläche des himmels
die auf der unruhe des meerdunkels liegt
antwort gibt das eigene · ein zweiter blick:
die staubschicht auf dem honig
das salzwasser im krug
auf der papierdecke des tisches
Raoul Schrott
Raoul Schrott wurde 1964 geboren und lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer, Dichter und Universitätsdozent im Bregenzerwald. Sein Werk umfasst unterschiedliche Genres und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen ist von ihm «Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal» (Hanser 2019) über Magellans Weltumsegelung. Raoul Schrott ist Teil der Kritikerrunde im SRF-«Literaturclub».
Ayse Yavas
Ayse Yavas fotografiert seit über 20 Jahren Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Schweiz, zuerst im Auftrag der Bildagentur Keystone und für die Kulturstiftung Pro Helvetia, seit 2000 als selbständige Fotografin. Seit 2018 ist Ayse Yavas Hausfotografin im Sogar Theater in Zürich.