Radio und Fernsehen: Das pralle Leben der Nobilität
«Barock – die Macht der Verführung»: In etlichen Sendungen vermitteln Radio und Fernsehen SRF einen sinnlichen Einblick in jene Epoche.
Inhalt
Kulturtipp 21/2014
Letzte Aktualisierung:
01.10.2014
Rolf Hürzeler
Viel Gestöhn und noch mehr Schlüpfrigkeiten: Ein junger Chevalier kommt nach Versailles. Er soll zu Beginn des 18. Jahrhunderts einem unehelichen Sohn des Königs Ludwig XIV. (1638–1715) als Hauslehrer dienen. Doch der Kleine ist nicht da. Dafür erlebt der Chevalier auf der Suche nach dem Schüler allerhand amouröse Abenteuer. Etwa in diesem Stil: Die pompöse Jagdgesellschaft stellt dem Wild nach, während der Chevalier seine berockte Hirschkuh ...
Viel Gestöhn und noch mehr Schlüpfrigkeiten: Ein junger Chevalier kommt nach Versailles. Er soll zu Beginn des 18. Jahrhunderts einem unehelichen Sohn des Königs Ludwig XIV. (1638–1715) als Hauslehrer dienen. Doch der Kleine ist nicht da. Dafür erlebt der Chevalier auf der Suche nach dem Schüler allerhand amouröse Abenteuer. Etwa in diesem Stil: Die pompöse Jagdgesellschaft stellt dem Wild nach, während der Chevalier seine berockte Hirschkuh privat im Gebüsch erlegt … Witzig oder nicht, SRF nähert sich dem Barock in bunten Farben der Sinnlichkeit, zum Beispiel in dieser Reihe von kurzen Hörspielepisoden von rund sieben Minuten Dauer unter dem Titel «Versailles, mon amour».
«Rauschende Feste, ausschweifender Sex und perfekte Manieren zugleich», verspricht ein Pressetext. SRF will in den Radio- und TV-Programmen hinter die Masken und unter die Röcke blicken. Dazu berichtet der Sender von überwältigenden Kunstwerken und grossartigen Fortschritten in Wissenschaft und Technik.
«Versailles, mon amour» ist als eine Art historischer Krimi angelegt. Denn der junge Chevalier verstrickt sich nach seinem wilden Einstieg ins sündige Leben zusehends in den Intrigen am absolutistischen Hof des alternden Sonnenkönigs Ludwig XIV. – und muss um sein Leben bangen. Die Radioproduktion konzentriert sich auf das Leben der Nobilität, eine verschwindend kleine Minderheit in der damaligen Gesellschaft. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung konnte sich möglicherweise den Ausschweifungen nicht gleichermassen hingeben.
Dekadentes vermitteln
SRF will das Dekadente der Epoche vermitteln: Der Absolutismus herrscht noch, ist aber dem Untergang geweiht. Der Engländer Thomas Hobbes stellte in jener Zeit die Herrschaftsform zwar nicht infrage. Aber er sprach ihr die göttliche Legitimation ab. Gerade damit rechtfertigte der Sonnenkönig jedoch seinen diktatorischen Machtanspruch. Ludwig XIV. übte ihn selbstbewusst aus; er führte Zeit seines Lebens immerhin 30 Kriege. Frankreich wurde unter ihm kulturell und politisch zur führenden europäischen Macht.
Ob der abenteuerliche Chevalier von der SRF-Radioproduktion in Versailles das alles mitbekommen hat? Wahrscheinlich wäre es ihm egal gewesen. Er freute sich vielmehr auf die Begegnungen mit einer jungen Gräfin: «Sie brachte mir ein paar Wendungen bei, die ich nicht kannte.» Er meinte das nicht sprachlich.