Ein schwarzer Prediger bringt seine Anhänger in Ekstase. Sie jubeln ihm zu, berichten begeistert von Heilungen und wundersamen Erscheinungen – willkommen bei einem Event der afrikanischen Pfingstbewegung in der nigerianischen Hauptstadt Lagos. Hier werden alle aufgenommen, besonders dann, wenn sie mit einem kleinen oder besser grösseren Obulus zum Wohlergehen des Predigers beitragen, schliesslich will sein luxuriöser Lebensstil finanziert sein.
Die Magazinsendung «Kontext» widmet sich diesem Phänomen auf Radio SRF 2 Kultur in der Osterwoche in einer knapp einstündigen Sendung. Sie beleuchtet diese wachsende Religionsgemeinschaft aus allen möglichen Perspektiven.
Gespräche mit Konvertiten und Theologen
Alles Humbug oder was? Zwei Reportagen aus Nigeria vermitteln den Hörern zumindest diesen Eindruck. Die zu Beginn des letzten Jahrhunderts in den USA entstandene Erweckungsbewegung scheint zu einer wundersamen Geldvermehrungsmaschine verkommen zu sein, die von den Emotionen ihrer Gläubigen profitiert. Besonders eindrücklich ist das lange Interview mit einem schwulen Aktivisten, der als Konvertit mit der Pfingstbewegung abrechnet. Er erkannte, dass er mit seiner sexuellen Ausrichtung keinen Platz in dieser Gemeinschaft fand.
Aufschlussreich ist auch das Gespräch mit dem Basler Theologen Andreas Heuser. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Phänomen und vermag den historischen wie religiösen Hintergrund auszuleuchten. Heuser wertet die Pfingstbewegung nicht als «Betrug», sondern räumt eine echte Spiritualität ein. Dies ist umso erstaunlicher, als die übrigen drei Beiträge dieser Sendung genau den gegenteiligen Eindruck vermittelten. Da hätte der Interviewer beim Theologen kritisch nachfragen müssen.
Ebenfalls etwas ratlos bleibt man als Zuhörer nach der Sendung vom Tag darauf, dem 28. März, über die Blockchains wie etwa Bitcoins. Das Unterfangen hätte allerdings kaum anspruchsvoller sein können: Wie erklärt man einer Zuhörerschaft auf unterschiedlichem Wissensstand eine virtuelle Währung, die sich zuerst einmal jeglicher konventionellen Vorstellung entzieht? Die Radiomacher lösen die Aufgabe bravourös; in Expertengesprächen bringen sie dem Zuhörer Kryptowährungen näher. Ungeklärt bleibt die praktische Anwendung: Ein «Blick»-Redaktor berichtet von einem Selbstversuch, bei dem er letztlich fast 400 Franken in den Sand setzte. Zielgerichtete Anwendungen scheinen dagegen sinnvoller zu sein, etwa im Musikgeschäft, wo sich die Verwertungskette angeblich auf Kosten der Banken drastisch verkürzen lässt.
Ein Streitgespräch hätte offene Fragen geklärt
Lohnt sich also eine Kryptowährung für den Konsumenten oder nicht? Am Schluss der Sendung kommt man vernünftigerweise zum Schluss: Hände weg, wenigstens vorläufig – oder etwa doch nicht? Da hätte sich ein kurzes Streitgespräch aufgedrängt, sodass Pro- und Contra-Argumente einander direkt gegenübergestanden wären. Aber ähnlich wie bei der Sendung über die Pfingstbewegung hat man als Hörer den Eindruck, dass die Radiomacher jeglichen Eindruck der «Boulevardisierung» vermeiden möchten und so sehr auf Differenzierung setzen, dass am Schluss nur Ratlosigkeit bleibt.
Der Verzicht auf Kontroverse bewährt sich bei der Sendung «Liebe und Grausamkeit» am besten. Die Literaturkritiker Julian Schütt, Sieglinde Geisel und die Redaktorin Esther Schneider sprachen über drei Romane, die sich mit diesem Gegensatz beschäftigen. Das Unterfangen ist riskant: Im Gegensatz zum «Literaturclub» mit seinen unterschiedlichen Büchern könnte die monothematische Ausrichtung schnell ermüdend werden. Tut sie aber nicht, was an der plausiblen, wenn auch gewagten Auswahl der drei Bücher liegt: «Singt ihr Lebenden und ihr Toten, singt!» der US-Amerikanerin Jesmyn Ward, «Was zu dir gehört» von Garth Greenwell und «Casting» des Japaners Ryu Murakami. Alle drei Romane sind keine leichte Lektüre, sondern emotional hochgeladen. Beim Zuhörer stellt sich während der Diskussion um die drei Werke immer wieder die Frage – soll ich mir das zumuten? Zum Schluss hat man den Eindruck, dass man sich zumindest die Konfrontation mit einem der drei Werke antun sollte, auch wenn die Lektüre wenig Lebensfreude verspricht.
«Kontext» ist eine offenkundig professionell gemachte Sendung. Die Radiomacher muten der Hörerschaft dabei einiges zu. Streckenweise hat man den Eindruck, sie bemühten sich fast verbissen um «Seriosität». Da wünschte man sich vermehrt ein paar Takte Musik zur Entspannung, zum Durchatmen beim Zuhören. Und noch etwas: Während der drei Stunden Radiohören gönnt der Sender dem Zuhörer fast kein Lächeln. Etwas Ironie, Selbstironie der Sprechenden gar, vielleicht eine leichtfüssige Anekdote würden diese Sendung noch längst nicht zum Klamauk verkommen lassen, sondern auflockern.
Kontext
Mo–Fr, jeweils 09.03 und 18.03
Radio SRF 2 Kultur