kulturtipp: Auf seiner Website führt Radio DRS 2 «Atlas» unter seinen Top-Sendungen. Warum kippen Sie das Magazin aus dem Programm?
Franziska Baetcke: Dieser Entscheid ist uns nicht leichtgefallen. Das sehr radiofone «Atlas»-Konzept mit breit angelegten, musikalisch untermalten Reportagen soll künftig in andere Sendungen einfliessen. Zudem waren wir gezwungen, Mittel freizumachen für neue Projekte.
Nämlich?
Die anstehende Programmreform soll DRS 2 zugänglicher machen. Wir bieten heute ein hochstehendes Angebot, das aber zu wenig gehört wird. Trotz treuen Stammpublikums verlieren wir seit Jahren an Reichweite. Das müssen wir ändern, indem wir unser Angebot überdenken und jüngere Leute ab
35 Jahren erreichen. Sonst hat
DRS 2 keine Zukunft.
Und wie wollen Sie Jüngere erreichen?
Indem wir bei den Primetimes ansetzen. Das bedeutet also am frühen Morgen und am Vorabend, wenn am meisten Leute Radio hören. Dort müssen wir unsere Stärken ausspielen und unsere kulturjournalistischen Inhalte platzieren. Wir müssen und wollen in Zukunft noch mehr Leute in ihrem Alltag begleiten.
DRS 2 als Begleitradio?
Es sei betont: Wir behalten unsere Langformate bei. Aber wir wollen neue Leute dazu verführen, DRS 2 zu hören. Und dies soll in den Primetimes geschehen.
Dann hören die meisten Leute ohnehin DRS 1 oder 3.
Und auch DRS 2, das wissen wir. Kulturinteressierte Menschen hören gerne auch Informationssendungen.
Am Morgen sind dies hauptsächlich Klassikliebhaber.
DRS 2 hat tatsächlich ein zweigeteiltes Publikum: Musikhörerinnen und -hörer mit Vorliebe für Klassik und Jazz sowie Worthörende. Diesen nicht einfachen Befund haben wir in unsere Strategie einfliessen lassen. Der frühe Morgen bleibt von klassischer Musik geprägt. Hinzu kommen Kulturbeiträge, die von den «Mattinata»-Moderatoren präsentiert werden. Bei unseren Tests ist die neue Morgenstrecke beim Stammpublikum wie bei Gelegenheitshörern angekommen.
Sie wollen also beide Publikumssegmente vereinen?
Wir wollen beiden zeigen, dass auf DRS 2 auch anderes hörenswert ist, ja. Aber wir wollen sie überraschen, nicht vor den Kopf stossen. Ich bin überzeugt: Wenn Thema und Art der Präsentation stimmen, bleiben die Leute dran. Das funktioniert heute schon bei «100 Sekunden Wissen».
Am Vorabend bleiben die Leute heute dran dank des «Apéro». Ausgerechnet diese beliebte Musiksendung streichen Sie aber ebenfalls.
Der entspannende «Apéro»-Mood wird prägend sein für den neu gestalteten Vorabend, der bereits um 16 Uhr beginnt. Wie am Morgen dominiert Musik, aber wir zücken unsere Visitenkarten der aktuellen Kulturberichterstattung …
… nach dem Vorbild des bisherigen «DRS 2 aktuell»?
Vom Themenspektrum her, ja. Formal wird das etwas anders sein.
Das Klangspektrum am Vorabend soll «bunter» werden. Wie bunt?
Wir gehen aus vom Jazzprofil des «Apéro» und weiter in Richtung Blues, Weltmusik, Singer-Songwriter.
Das klingt nach DRS 3!
Die Stiletiketten schon. Aber wir spielen Musik, die nirgends sonst zu hören ist. Mit den Musik- und Programmleitern von DRS 1 und 3 haben wir intensiv an den unterschiedlichen Profilen gearbeitet.
Ist dafür die programmübergreifende Fachredaktion Musik zuständig?
Nein, das Repertoire wird Jazzchef Peter Bürli mit Fachberatern zusammenstellen. Das ist Pionierarbeit und stellt für alle eine grosse Herausforderung dar.
Was bleibt eigentlich beim Alten auf DRS 2?
Vieles! Wobei wir unsere Sendungen seit jeher regelmässig überprüfen und kleine Änderungen vornehmen. Im Moment aber bleiben alle musikjournalistischen Sendungen wie «Diskothek», «Musik unserer Zeit» oder Konzertübertragungen. Die Hörspiel-Sendungen natürlich, «Passage», «Kontext» und «Reflexe».
Letztere zwei werden doch fusioniert?
Nein, Sendungen und Sendeplätze bleiben bestehen. Zu ihrer Stärkung legen wir die Redaktionen zusammen, was zu einer journalistischen Vielstimmigkeit führen soll.
Inwieweit basiert die Neuausrichtung auf Sparvorgaben?
Die Neuausrichtung ist kein Sparprojekt. Aber wir müssen uns den veränderten Mediengewohnheiten anpassen. Das Bedürfnis nach zeit- und ortsunabhängiger Nutzung wächst. Das ist die grösste Herausforderung: Die Gebührenerträge stagnieren, und wir müssen mit den bestehenden Mitteln neue Kanäle bespielen.
Sie meinen den Auftritt im Internet?
Genau. Mit der Umstellung von DRS 2 zu SRF 2 Kultur lancieren wir eine neue Kulturplattform, die mehr als ein herkömmlicher Internetauftritt ist.
Und diese kostet Geld.
Natürlich!
Was zu einer Budgetkürzung beim Normalprogramm führt?
Die Programmanpassung geschieht mit dem gleichen Budget und Personal wie bisher.
Die ersten Reaktionen auf die Neuausrichtung sind empört. Die Schweizer Kulturschaffenden fordern den Verzicht auf die Übung.
Jede Veränderung löst Unruhe aus. Es ist schade, dass Suisse Culture nicht das Gespräch mit uns gesucht hat. Wir hätten einen Grossteil der Empörung entkräften können. Zumal wir Kultur einem grösseren Publikum zugänglich machen wollen. Wir sind ein journalistisches Medium und nicht Interessenvertreter eines Verbandes.
Auch DRS-intern gibt es Unruhe. Haben Sie Ihre Leute denn nicht in die Konzeptarbeit miteinbezogen?
Es gab Arbeitsgruppen aus den Redaktionen, deren Inputs wir übernommen haben. Die Verantwortung für eine realisier- und finanzierbare Umsetzung liegt aber bei der Abteilungsleitung. Ich zähle darauf, dass wir die momentane Rüttelpiste gemeinsam überstehen. Und rütteln wird es: Wir haben die Gelegenheit, DRS 2 fit für die Zukunft zu machen. Wenn das kein Abenteuer ist!
Siehe auch Carte blanche von Alex Bänninger auf Seite 32