Quatuor Ebène – ein Name mit Stolper-Potenzial: Wie kommt ein Streichquartett dazu, sich so zu nennen? Die Antwort ist erst einmal banal: Ebène, zu Deutsch Ebenholz, wird im Instrumentenbau verwendet – für Teile eines Streicherbogens oder einer Geige, etwa bei der Kinnstütze. Zum Zweiten: Ebenholz klingt nach Exotik, nach Afrika und seinen Rhythmen. Und so wurde das schwarze Material für das Quartett zur Chiffre für Eigenständigkeit und wache Neugier, für die Freude am Rhythmus und die Herausforderung musikalischer Improvisation.
Dank all dem fanden die vier jungen Franzosen 1999 während ihres Studiums in Boulogne-Billancourt bei Paris auch zusammen. In ihren Jugendjahren spielten die vier Streicher in den Schulbands auch mal Gitarre und Klavier. Sie liessen sich von so unterschiedlichen Musikern wie Elektro-Geiger Jean-Luc Ponty oder von Jascha Heifetz & Co. inspirieren.
Filmmusik, Pop, Jazz
Die Affiche «L’autre Ebène» stand von Anfang an für solche Grenzüberschreitungen. So richtig eingeschlagen hat sie 2010 mit einem denkwürdigen Konzert in den Pariser «Folies Bergères». «Fiction» hiess das Programm, das auch auf CD und DVD herausgekommen ist. Es reichte von Filmmusik aus «Ocean’s 12» und «Pulp Fic-
tion» über Beatles-Lieder und Jazz-Standards bis zu einer A-cappella-Einlage.
Bass und Saxofon
Vier Gastsängerinnen waren mit von der Partie: Fanny Ardant, die Spanierin Luz Casal, die Operndiva Natalie Dessay und die Jazz-Sängerin Stacey Kent. Das Quatuor Ebène verfremdete dazu den Streicherklang, bis er wie E-Gitarren oder Schlagzeug-Wirbel klang.
«Wir funktionieren wie eine Jazzband», sagt der Bratschist Mathieu Herzog: «Raphaëls Cello ist der Bass, Gabriel und ich legen die harmonische Grundlage wie das Klavier, während unser erster Geiger Pierre das Saxofonsolo spielt.»
Streichquartette
Auch das traditionelle Streichquartett-Repertoire ist bei den Gewinnern des ARD-Preises von 2004 in besten Händen. Wer sie Haydn oder Mozart spielen hört, glaubt, sie hätten seit 20 Jahren nur klassische Streichquartettkultur geübt: Schlank, strukturiert, klanglich sensibel, mit wenig Vibrato, aber vielen starken Gegensätzen bringen sie Leben und Spannung in die Partituren.
Sie haben sich ein bisschen gefürchtet, bei ihren Pop-Ausflügen die Feinheiten der klassischen Klangkultur einzubüssen, wie Geiger Pierre Colombet zugibt: «Wir hatten Angst, Jazz und Pop würden unsere Technik und die subtilen klanglichen Feinheiten beeinträchtigen.»
Aber genau das Konträre sei passiert: «Wir fanden heraus, dass es uns geholfen hat, uns freier zu fühlen.» Das geht so weit, dass sie auch bei Mozart von improvisierter Musik sprechen. Nicht, dass sie die Partitur verändern würden, aber ihr Zugang sei mutiger geworden. Die Spielvorschriften und Artikulationen würden radikaler umgesetzt und die Akzente krasser ausgelebt.
Neuentdeckungen
Das ist das Gegenteil dessen, was die Originalklang-Bewegung anstrebt – obwohl sich die real klingenden Ergebnisse am Ende manchmal erstaunlich ähnlich ausnehmen. Aber der Zugang zu den Meisterwerken der Quartettliteratur ist deutlich aktueller: «Viele Musiker haben Angst vor extremen Kontrasten», sagt Pierre Colombet. «Sie denken, die Musik wäre heilig und dürfte nicht verändert werden. Unser Ziel ist es aber nicht, Mozart oder Haydn möglichst originalgetreu zu reproduzieren. Sondern wir spielen Mozart so, wie wir ihn für uns entdecken. Und dann wird es in gewissem Sinn unsere eigene Musik.»
Auf Tutti
Diese selbstbewusste Interpreten-Haltung ist auf bisher fünf Klassik-CDs zu hören, mit Quartetten von Haydn, Mozart, Bartok, Brahms, Debussy, Ravel und Fauré. Soeben ist ihre sechste CD erschienen mit zwei Quartetten von Mendelssohn und dem einzigen seiner Schwester Fanny, das sie mit 29 Jahren komponiert hatte: Ein formal bemerkenswert freies, musikalisch reizvolles Werk.
In ihren Interpretationen geht das Quatuor Ebène auch hier auf Tutti: Kaum mehr hörbar, so leise gestalten sie den Übergang im Finale von op. 13. Dessen Beginn wird mit einem Akzent eingeleitet, der so ruppig klingt, dass man sich
bei Dmitrij Schostakowitsch glaubt. Ihre hohe Spielkultur und Instrumentaltechnik stellen sie in den Dienst möglichst grosser Gegensätze. Zum Beispiel im op. 80 von Felix, das er unter dem Eindruck des frühen Tods seiner Schwester komponierte: Da kommen die emotionale Zerrissenheit, die Auflehnung gegen das Schicksal und die tiefe Resignation ausdrucksvoll zum Klingen.
[CD]
Felix & Fanny
Felix Mendelssohn: Streichquartette
op. 13 und op. 80
Fanny Mendelssohn: Streichquartett Es-Dur
(Virgin Classics/EMI 2013).
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