Es wird in Zürich voraussichtlich wieder zu Provokationen kommen: Wie schon vor zwei Jahren in Basel, als der 48-jährige Calixto Bieito Georges Bizets «Carmen» inszenierte. Und bei seiner Basler «Aïda» ein Jahr zuvor waren gar Kinder auf der Bühne. Die Inszenierung war so schockierend – Schlachtszenen, Folterungen, Erniedrigungen, sexuelle Anspielungen –, dass manch einer im Publikum um die kleinen Statisten bangte und mehr als einmal die Augen schliessen musste.
Der Basler SVP-Grossrat Eduard Rutschmann verlangte darauf im Parlament, dass dem Theater Basel die Mittel gekürzt würden. Sein Argument: «Wenn das Theater mit weniger Subventionen auskommen muss, würden sich die Aufführungen nach einem breiten Publikums richten.» Wer nun «Bünzli» ruft, betrachte die Besucherzahlen der Inszenierungen von Regisseur Bieito: 2006 sahen trotz Kritiker-Hymnen bloss 8393 Besucher Verdis Klassiker «Don Carlos» – Auslastung 55 Prozent; 2009 bei Alban Bergs berühmter «Lulu» waren es 6405 Besucher – Auslastung 50 Prozent. Verdis «Aïda» sahen 2011 zwar 10 406 Besucher, aber wieder nur 548 Besucher pro Abend bei einer Auslastung von 56 Prozent. Dann bei der gemässigten «Carmen» ein «Erfolg»: 17 177 Zuschauer in 23 Vorstellungen, Auslastung 74.6 Prozent. Doch ein Theater, das beim Einsatz der ABC-Waffen der Oper, «Aïda», «Bohème» oder «Carmen», nicht ausverkauft ist, macht zu viel falsch.
Dumme Opernfreunde
Der Intendant wirds überleben, denn die mediale Unterstützung ist ihm von der internationalen und vor allem lokalen Presse häufig gewiss. Spott müssen heute jene einstecken, die konservativ inszenieren. Andere verspotten gar das Publikum. Der Musikwissenschaftler Jens-Malte Fischer schrieb vor kurzem im Magazin «Merkur»: «Das Opernpublikum in aller Welt ist das reaktionärste und dümmste aller Theaterpublika. Deswegen fühlen sich die Sponsoren dort auch so wohl. Es liebt aber die komplizierteste, anspruchsvollste und anforderungsreichste Kunstform überhaupt.» Kein Wunder, dass das Basler Theater mit dieser Lobby 2008 und 2009 «Opernhaus des Jahres» wurde – auch wegen Calixto Bieito.
Dank des publizistischen Erfolgs machte Basels Opernchef Dietmar Schwarz einen gewaltigen Karrieresprung. Vom Rhein gings nach Berlin, auf den Dampfer Deutsche Oper. Dort liess er verlauten, er werde eine gemässigtere Linie fahren. Denn er will seine Haut retten: Die Deutsche Oper ist eine Nationalgalerie, deren Kapital herumjettende Sängerstars sind. Ihr Interesse an allzu fordernden Inszenierungen ist gering. Zudem gibt es in Berlin gleich drei sich konkurrierende Opernhäuser, die Basler Linie von Schwarz fährt bereits die Komische Oper.
Geführt wurde dieses Haus bis 2012 von Andreas Homoki, der im September 2012 die Nachfolge Alexander Pereiras in Zürich antrat. Seine Berliner Regisseure brachte er zum Teil nach Zürich: Sebastian Baumgartens «Don Giovanni» wurde zum Debakel. Bieito ist nun verantwortlich für die Saisoneröffnung 2013/14 und inszeniert Alois Zimmermanns 1965 uraufgeführte Oper «Die Soldaten». Das wird den grössten Teil des konservativen Publikums kaum schmerzen, denn diese Oper interessiert das traditionelle Publikum nicht. Auch Pereira liess moderne Regisseure wie Peter Konwitschny gerne Werke am Rand des Repertoires inszenieren – ohne viel Protest.
Ins Leere gelaufen
Die Zeit des Katalanen scheint allerdings abzulaufen. Selbst seine einstigen Bewunderer im Fachmagazin «Opernwelt» haben das erkannt. Ein Essay im «Jahrbuch 2011» zeigt auf, wie seine ewiggleichen Gewalt- und Sexorgien mit einem kräftigen Schuss Katholizismuskritik ins Leere laufen.
Wie schmal das Talent dieses pausenlos arbeitenden Regisseurs ist, kann ohne die genaue Schilderung der Folterexzesse, Vergewaltigungen oder Onanieszenen jeder sehen, der unter dessen Namen nach Bildern googelt. Immer wieder Scharen von Nackten, ob das Stück nun «Il Trovatore», «Elektra» oder eben «Die Soldaten» heisst.
DVDs
Bizet: Carmen, Barcelona 2009, Unitel Classica
Berg: Wozzeck, Barcelona (Opus Arte 2007).
Mozart: Don Giovanni.
Barcelona (Opus Arte 2002).
Eröffnungsfest
«Alexandre Bis»
Eine Oper von Bohuslav Martinu
und vieles mehr
Sa, 21.9., ab 10.00
Opernhaus Zürich
Aufführungen
«Die Soldaten»
Bernd Alois Zimmermann
Ab So, 22.9.
Opernhaus Zürich
Christian Berzins