Befasst sich Esther Tisa mit einem Objekt aus der Sammlung des Museums Rietberg, schaut sie oft als Erstes dessen Rückseite an. Denn da verbirgt sich, was für die Provenienzforscherin spannend ist: Meissel-Spuren, Nummern, Stempel und Kleber. Seit 2008 versucht die Historikerin für das Rietberg in Zürich, die Geschichte von Werken möglichst lückenlos zu erforschen – von deren Entstehung bis zu jenem Moment, an dem sie ins Museum kamen.
Was es mit ihrer Aufgabe auf sich hat, will Esther Tisa den Rietberg-Besuchern in einer aktuellen Ausstellung vermitteln. Die Schau «Die Frage der Provenienz» ist als Rundgang durch die Dauerausstellung konzipiert, zehn Stationen geben einen Einblick in das Forschungsfeld. Wer waren die Ethnologen, welche die Statuen, Masken und andere Objekte nach Europa brachten? Wer sammelte die Stücke? Welche Rollen spielten der Nationalsozialismus und Europas Kolonialgeschichte?
Die Schau im Rietberg ist eine von mehreren Ausstellungen, die aktuell in der Schweiz und im nahen Ausland auf die Provenienzforschung eingehen. Die Verdichtung kommt nicht zufällig, das Thema war in den letzten Jahren medial omnipräsent. 2014 etwa nahm das Kunstmuseum Bern die Sammlung des verstorbenen Münchner Kunsthändlers Cornelius Gurlitt an. Bei einem Teil der über 1200 Werke besteht der Verdacht auf Raubkunst. Als Reaktion auf den Fall Gurlitt unterstützt das Bundesamt für Kultur seit 2016 Schweizer Museen mit zwei Millionen Franken bei der Erforschung ihrer Bestände.
Hinweise auf Vorbesitzer
Esther Tisas Arbeit lässt sich ein wenig mit der einer Detektivin vergleichen. Denn die Historikerin recherchiert vor allem viel. In ihrer Ausstellung zeigt sie, wo die Nachforschungen beginnen: Eine Maske aus Papua-Neuguinea hat sie umgedreht. Den Dvarapala, eine gut einen Meter hohe Wächterfigur aus einem hinduistischen Tempel in Indien, hat sie von der Wand weggezogen. Auf den Rückseiten der Objekte entdeckt man den Kleber einer Galerie aus den 1920ern, Stempel, Depot- und Sammlungsnummern wie «VJ. 14.». Solche Inventarnummern und Hinweise auf Vorbesitzer oder frühere Standorte führen Tisa zu den museumseigenen Akten, in andere Museumsarchive und zu Auktionshäuser. Briefwechsel, alte Kunstmagazine, Literatur und Fotos sichten – der Job verlangt Ausdauer. «Manchmal bringt einen aber selbst Beharrlichkeit nicht weiter», sagt Tisa. Etwa, wenn sie nicht an den Nachlass eines Sammlers oder Kunsthändlers herankomme.
Ausweitung der Provenienzforschung
Das Feld der Provenienzforschung entwickelte sich hauptsächlich in den vergangenen 20 Jahren. 1998 unterzeichneten 44 Staaten, darunter auch die Schweiz, die sogenannte Washingtoner Erklärung. Gemäss dieser sollen Unterzeichnerstaaten NS-Raubkunst identifizieren, Eigentümer oder Erben ausfindig machen und mit diesen eine «gerechte und faire Lösung finden». Das Museum Rietberg etwa zahlte 2010 den Nachfahren eines jüdischen Firmeninhabers eine Entschädigung für vier Objekte, die der Gründungssammler Eduard von der Heydt 1935 in Berlin ersteigert hatte.
Mittlerweile hat sich die Frage der Provenienz aber längst auf die Kolonialgeschichte ausgeweitet. Museen in ganz Europa sind voll von Kunst- und Kulturgegenständen, die im 19. Jahrhundert oftmals unter fragwürdigen Umständen hierher gelangten. Und in den letzten zehn Jahren begannen erste afrikanische und südamerikanische Staaten, Objekte zurückzuverlangen. Das Problem: Zwar verabschiedeten die Schweiz und andere Staaten 1970 die Unesco-Konvention zum Schutz von Kulturgütern. Doch ein konkretes Pendant zur Washingtoner Erklärung existiert für die Kolonialzeit nicht. Auf eine solche zu warten, ist in den Augen von Esther Tisa die falsche Herangehensweise. Sie sagt: «Schweizer Museen müssen deutlicher erkennen, dass Provenienzforschung heute ein integraler Teil ihrer Arbeit ist.»
Mehr Transparenz und aktive Kommunikation
Dass gewisse Museen das Thema über Ausstellungen öffentlich machen, hält Bernhard Schär für einen guten Ansatz. Der Kolonialhistoriker an der ETH Zürich befasst sich mit der Schweizer Globalgeschichte. Er sagt: «Koloniale Sammlungen sind aufs Engste mit der Geschichte des europäischen Rassismus verbunden. Nur wenn das offen thematisiert und sichtbar gemacht wird, können auch ein ehrlicher Dialog und faire Beziehungen mit den Partnern im globalen Süden geführt werden.» Die finanzielle Unterstützung des Bundes für Provenienzprojekte sei löblich. Dennoch wünscht er sich mehr Koordination auf Bundesebene, mehr Transparenz und eine aktive Kommunikation gegenüber den Herkunftsländern.
So plant das Museum Rietberg, in nächster Zukunft mit nigerianischen Vertretern in Verbindung zu treten. Zurzeit gibt es einen internationalen Dialog zu Objekten, die 1897 von britischen Truppen im damaligen Benin geplündert wurden. Auch drei Stücke aus der Rietberg-Sammlung lassen sich auf diesen Vorfall zurückführen. Was mit ihnen geschieht, wird sich zeigen. Bis dahin wird Tisa weiter die Bestände erforschen und ihre Funde transparent machen. «Wir möchten die Geschichte hinter den Objekten vermitteln. Denn bei der Provenienzforschung geht es auch um Erinnerungspolitik.»
Ausstellungen zum Thema «Provenienz»
- Die Frage der Provenienz
Ein Parcours durch die Dauerausstellung bietet einen Einblick in die Forschung im Museum Rietberg.
Bis So, 30.6. Museum Rietberg Zürich
- Wissensdrang trifft Sammelwut
Die Ausstellung fragt nach dem richtigen Umgang mit sensiblen Objekten wie Schädeln, Elfenbein und Waffen.
Bis So, 19.1. Museum der Kulturen Basel
- Eigentum verpflichtet
Anhand geklärter und ungeklärter Fälle aus der Sammlung zeigt diese Ausstellung die Hürden der Provenienzforschung.
Sa, 4.5.–Mo, 6.1. Zeppelin Museum Friedrichshafen (D)
- Intervention Provenienz #1
Werke aus dem Legat Cornelius Gurlitt mischen sich unter die bestehende Sammlung. Die Präsentation soll für die Pro-blematik von Besitzwechseln während des Nationalsozialismus sensibilisieren.
Bis Di, 31.12. Kunstmuseum Bern